: Bladerunner erobern die Stadt
Das Inline-Skaten boomt: Die Flitzer werden als Fortbewegungs- und Sportgerät immer beliebter. Profis finden die rollenden Schuhe nur ohne Bremsen „cool“ ■ Von Tobias Rapp
Die ersten Schritte sind wacklig. Doch nach ein paar Metern habe ich mich an den Bewegungsablauf gewöhnt und gleite dahin. Je schneller man fährt, desto stärker wird man durchgerüttelt und desto größer wird der Geschwindigkeitsrausch. Auf geliehenen Hartgummirädern drehe ich meine erste Runde um die Neue Nationalgalerie, einer der Treffpukte von Inline-Skatern. Ein paar Dutzend Jungs und Mädchen zwischen 15 und 35 Jahren fahren neben mir um das Museum herum oder rollern rückwärts die Treppen runter.
Nur das Anhalten macht Schwierigkeiten, denn an dem geliehenen Beförderungsmittel sind die Bremsen abgeschraubt. Das ist aber nur für mich ein Problem. „Bremsen sind uncool“, sagt Alltags-Inline-Skater Jens, an dessen Blades wie bei allen anderen an der Nationalgalerie die Tempohemmer fehlen.
Neben Inline-Skates sehen die in den sechzigerer Jahren populären Rollschuhe zum Unter-die- Straßenschuhe-Schnallen aus wie antiquarische Hochräder neben einem japanischen Mountainbike. Sogar die traditionellen Straßenoutlaws mit ihren fahrbaren Brettern, den Skateboards, geraten durch die Inline-Skater in Bedrängnis. Allerorten räumen Sportgeschäfte die Regale frei, um sie mit Rollerblades zu füllen und am Trend zu verdienen.
Auch Felix vertreibt sich seine Abende an der Nationalgalerie. Er hat sich seine Schuhe vor einem Jahr in den USA gekauft. Einen bestimmten Lebensstil verbindet er mit Bladen aber nicht. „Es macht einfach Spaß“, sagt er. Er habe auch schon 60jährige auf schnellen Schuhen gesehen. Daß mehr Wessis als Ossis von normalen Tretern auf Hartgummirollen umsteigen, liege vor allem an den vielen Schlaglöchern im Osten.
Für Jens sind die Blades eher ein Sportgerät als ein Fortbewegungsmittel. Der Bewegungsablauf sei der gleiche wie beim Schlittschuhfahren, nur brauche man keinen zugefrorenen Teich. Doch Jens widerspricht sich auch. Denn er benutzt die Fußrollen auch dafür, um von zu Hause schneller ins Kino zu kommen.
„Grundsätzlich unterscheidet man zwei Arten von Inline- Skates“, sagt Thilo, Chefverkäufer im Fachgeschäft „Lifestyle“ am Breitscheidplatz. Das Modell „Stunt“ ist eher dafür konzipert, um Sprünge zu machen und Treppen herunterzurollen. Dementsprechend sind sie robust, geschlossen und fest, um die Fußgelenke zu schützen. Die „Fitneß“- Stiefel dagegen sind eher leicht und offen, damit man nicht so sehr schwitzt. Sie haben größere Rollen und sind für höhere Geschwindigkeiten gedacht. Die Preise für beide Modelle liegen zwischen 200 und 600 Mark.
Der Fachverkäufer hat in den letzten zwei Jahren „eine enorme Expansion“ festgestellt, die so nicht mehr lange weitergehen werde. Zwar würden neue Firmen auf den Markt drängen und jedes Sportgeschäft diese Schuhe anbieten, doch Thilo befürchtet, daß schon bald der Markt gesättigt sein könnte: „Es kann gut sein, daß deshalb zum Herbst die Preise sinken.“ Neben Neueinsteigern sind es vor allem ehemalige Skateboard-Fahrer, die die schnellen Untersätze kaufen.
Auf Skateboarder sind die Inliner vor der Neuen Nationalgalerie nicht gut zu sprechen. Die sind ihnen zu arrogant. „Da mußt du ewig dabeigewesen sein, damit du akzeptiert wirst“ meint Jens, „die sind längst nicht so offen wie die Inline-Skater.“ Aber an der Nationalgalerie dürften sich Skateboarder ohnehin nicht auf ihre Bretter stellen, weil sonst die Bilder in den Ausstellungsräumen anfangen zu wackeln.
Die Inline-Skater stören die Museumsleitung jedoch nicht. „Für den Wachmann ist das völlig okay, wenn wir hier fahren“, sagt Jens. Es gebe nur die Übereinkunft, bei Publikumsbetrieb nicht vor dem Eingang herumzusausen. Und seit ein Skater in einer Scheibe des Museums gelandet sei, müssen sie ein wenig Abstand vom Gebäude halten. Außerdem wolle der Wachmann sich dafür einsetzen, daß Half-Pipes (U-förmige Schanzen) aufgestellt werden, dann müßten sie nicht mehr die Eisenkunstwerke zum Springen mißbrauchen.
Andernorts wird es den Bladern schwerer gemacht. Angela erzählt, daß im Fußgängertunnel am ICC schon Öl ausgeschüttet worden sei, um Roller abzuwehren, „allerdings war er dann für Fußgänger und Radfahrer auch nicht passierbar“. Auch in der BVG hätten sie Schwierigkeiten: „Manche Busfahrer wollen, daß man die Blades auszieht, da steht man dann barfuß zwischen all den Leuten.“
Auch wenn die Inline-Skates der neueste Verkaufsgag der Sportartikelindustrie sind, sind sie eines der am besten funktionierenden Werkzeuge zur Rückeroberung des Verkehrsraumes. Denn im Gegensatz zu den alten Rollschuhen sind spezielle Bahnen überflüssig geworden: Die ganze Stadt wird zur Rollschuhbahn.
Irgendwelchen gesetzlichen Regelungen ihres Status als Verkehrsteilnehmer sieht Jens gelassen entgegen. „Ich möchte wissen, wie die Polizei sich das denkt – die kriegen mich doch nie!“
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