: Da zuckt nichts!
Wir werden Europameister: Ich nicht! Warum seid ihr nur immer alle einhellig für Deutschland, Deutschland? ■ Von Bernd Müllender
Deutschland, Deutschland wird im folgenden mit DD abgekürzt. Und DD ist über alles. Wir haben es nämlich wieder mal geschafft. Wir sind Europameister. Demnächst. Und alle sind glücklich. Alle? Glücklich? Warum?
DD 24 Stunden vor dem ersten EM-Spiel gegen Tschechien (Sonntag, 18 Uhr, ZDF): Fragt man herum, wie es denn so mit den Sympathien stehe, bekommt man mehrheitlich a) ein wie selbstverständliches Bekenntnis zu den Deutschen und b) ebenso einhellig eine merkwürdig argumentfreie Begründung: „Ja, wieso denn nicht!“ Eine kleinere Zahl behauptet, Wohlwollen kurzfristig je nach Güte der Darbietung zu verteilen. Und dann quellen die Torschreie in DD doch aus allen Häuserritzen. Ich verweigere mich. Nie könnte ich mich freuen, wenn DD gewinnt.
Aus tiefstem Herzen: Nein! Kurios dabei: Wenn ich es erkläre und begründe, glaubt man mir oft nicht, selbst gute Freunde. Das sei doch aufgesetzt, alles intellektuelle Attitüde. „Im tiefsten Innern zuckt es in dir doch auch vor unterdrückter Freude, wenn Klinsmann trifft!“
Ich schwöre: Da zuckt nichts. Fußball fordert Leidenschaft, Emotion und, zumindest mit ironischem Augenzwinkern, ein flammendes Bekenntnis, pro oder contra. Warum aber immer für Deutschland? Was außer dem zufällig gleichen Ausweisdokument verbindet mich mit dem Kasperle Scholl, mit Dummschädel Basler, mit Weichei Möller, dem Knallkopf Kahn und solch atemlosen Strafraum-Hooligans wie Kohler und Freund? Wann je hat eine deutsche Nationalmannschaft in den vergangenen zwanzig Jahren begeisternden, innovativen Fußball gespielt, kreativ, überraschend, mitreißend?
Egal – was bei Euch zählt, ist DD, nicht der Fußball selbst. Und als Vaterlandsverräter gilt, wer sich statt dessen begeistert für das hochniveautöse niederländische Fußballfiligran. Oder für die so wunderbar provokativ abgezockten Italiener. Sympathien lassen sich auch außerhalb nationaler Scheingründe verteilen. Nicht nur im Fußball. Dazu braucht man nicht prinzipiell antideutsch zu sein: Boris Becker, dem großen Entertainer, gönne ich alle Kapriolen und ein jedes As aus tiefster Seele.
Aber sonst? Ich bin auf der Pressetribüne bei der Hymne immer sitzen geblieben. Und wie sicher bin ich mir, daß in diesen Momenten sehr viele sehr gern die erste Strophe singen würden. Manchmal passiert es ja auch, und es paßt ohnehin besser zum Fußballduell. Jaja, „über alles in der Welt“. Aber Scham ist Sache der Fußballfreunde nicht, ein Erinnern an deutsche Geschichte endet beim Aufsagen der Jahreszahlen von zusammengekickten Titelgewinnen. Schon höre ich die Empörung: Das kann man doch alles nicht vergleichen.
Es geht doch nur um Fußball. Und um harmlose Begeisterung, die ja womöglich ein nützliches Ablaßventil für nationale Zuckungen ist. Mag sein, aber es sind die gleichen Gefühlsreflexe, die auf ewiggleiche Art herausgekitzelt werden und die hier wie da genauso perfekt funktionier(t)en. Fortschritt ist das kaum, sondern – ekelhaft. Wenn die elf Jungunternehmer in Reihe angetreten sind und man sie krampfhaft bemüht mitsingen sieht, liest man die Lüge aus ihren coolen Gesichtern. Als würde sie die Hymne jucken. Alle Hochachtung müßte den Schweigern unter ihnen mit den zusammengepreßten Lippen gelten, wenn nicht der Verdacht bestünde, es fehlte ihnen an zerebraler Kapazität, sich den Text zu merken.
Intern werden sie vom nationalistischen Verband abgerüffelt. Ähnlich verlogen sind all die Bekenntnisse des Fußball-Bundes und der Vereine zu ihrem, so Oberfunktionär Egidius Braun, „gesellschaftspolitischen Engagement“. In sozialarbeiterischer Attitüde heucheln sie uns zu, „Keine Macht den Drogen“ zu wünschen, während sie fette Sponsorengelder der Bierindustrie einstreichen.
Wer sich über DDs Siege freut, macht sich gemein mit dem allmächtigen und reichen Fußball- Bund, mit Gestalten wie Gerhard Mayer-Vorfelder und all den anderen Vereins- und Verbandsfunktionären, die meist aussehen wie eine Mischung aus Gebrauchtwagenhändler und Rotlichtmafioso.
Und Berti Vogts? In seiner treudeutschen Biederkeit darf er nie ein Gefühl erwarten – außer Mitleid. Bedauerlich ist nur, daß Matthäus, der Inbegriff deutscher Widerlichkeit, in England nicht mehr dabei ist. Die Gefühlslage wäre noch eindeutiger. Matthäus war immer der beste Beleg für die ganze Verlogenheit und Dumpfbeuteligkeit im Seelenleben der DD-Jubler. Wenn er im Bayern- Dreß kickt, pfeifen sie ihn sympathischerweise bundesligaweit nördlich der Isar aus. Kaum zieht er den Bundesadler über, wurde ihm von den exakt gleichen Menschen gehuldigt. Verstehe das, wer will.
Warum nur seid ihr alle so? So unreflektiert. So gleichgeschaltet. So langweilig. Ich verstehe euch nicht!
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