: Das Hohe Haus am Bettelstab
■ Die Bundestagsabgeordneten müssen sich auf eine Nullrunde bei den Diäten einstellen: Die Entscheidung fällt am Donnerstag. Offizielle Zustimmung der Fraktionen und Protest von unten: „Der Bundestag wird zur Billigbude“
Bonn (taz) – Der Beschluß ist einstimmig, die Presseerklärungen sind gleichlautend, aber hinter der Fassade brodelt es. Gestern hat es sich so gut wie entschieden: Die für den 1. Juli 1996 geplante Erhöhung der Abgeordnetendiäten von 11.300 auf 11.825 Mark wird um ein Jahr verschoben, ebenso wie die zum 1. April 1997 und zum 1. Januar 1998 vorgesehenen Anhebungen. Auf eine entsprechende Empfehlung einigte sich gestern die Rechtsstellungskommission. Nach Angaben von Fraktionssprechern werden damit bis 1998 mindestens 14,4 Millionen Mark eingespart. Mit der diesjährigen Nullrunde haben sich Bündnisgrüne, FDP und PDS durchgesetzt. Heute werden die Fraktionen ihre Beschlüsse fassen. Schon an diesem Donnerstag soll die endgültige Entscheidung im Bundestag fallen. Vom Tisch ist dagegen nach Angaben des Grünen Gerald Häfner die FDP-Forderung, die Diätenzahlungen im Krankheitsfall zu kürzen.
Wie es von den Fraktionsspitzen der Parteien heißt, steht die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten hinter der Empfehlung der Rechtsstellungskommission. Doch vor allem in der CDU ist der Widerstand noch längst nicht erloschen. Horst Eylmann, Vorkämpfer einer sofortigen Diätenerhöhung, geht davon aus, daß 90 Prozent der Abgeordneten seiner Meinung sind. Viele hätten ihm anerkennend auf die Schulter geklopft, die sich öffentlich nicht zu ihrer Ansicht bekannt hätten. Eylmann: „Der Bundestag wird zur Billigbude.“
Eylmann zufolge hat sich der Bundestag disqualifiziert, Diäten festzusetzen. Es müsse jetzt verstärkt darüber nachgedacht werden, dem Parlament die Entscheidung darüber wegzunehmen. Er sei außerstande, die Diäten in den nächsten Jahren zu erhöhen. „Im nächsten Jahr wird es genau dasselbe Theater geben“, so Eylmann, da sich die wirtschaftliche Lage bis dahin wohl kaum entspannt haben werde. Wahrscheinlich werde der Bundestag daher wieder einknicken, wenn es um die Bestätigung der jetzigen Entscheidung gehe.
In der SPD, die ebenso wie die CDU im vergangenen Jahr für die Diätenerhöhung eingetreten war, ist die Stimmung geteilt. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Otto Schily meint zwar, daß eine „breite Mehrheit“ hinter der Empfehlung der Rechtsstellungskommission stehe, eine Reihe von Abgeordneten will aber nach wie vor ihre Alternativvorschläge diskutiert wissen. So plädiert Detlev von Larcher für die Diätenerhöhung, will aber gleichzeitig eine Sonderabgabe von fünf Prozent für alle BürgerInnen erheben, die mehr als 11.300 Mark im Monat verdienen. Dadurch käme viel mehr Geld in die öffentlichen Kassen und auf das Sparpaket könne verzichtet werden. Die Diätendebatte bezeichnet er als „unheimlich verlogen“. Es gehe lediglich darum, den Abgeordneten am Zeug zu flicken.
Der SPD-Abgeordnete Peter Conradi will ebenfalls an der Diätenerhöhung festhalten, schlägt aber zugleich eine Erhöhung des Solidaritätszuschlages vor. Diesen Vorschlag findet auch Otto Schily „sympathisch“. Eine Diätenerhöhung sei im Moment aber nicht durchzusetzen, räumt er ein. Den Leuten werde derart in die Tasche gegriffen, daß sie dafür kein Verständnis hätten.
Auch der Sportausschuß des Bundestags leidet unter der Ebbe in den öffentlichen Kassen. Er will nun mit einer verkleinerten Delegation zu den Olympischen Spielen nach Atlanta reisen. Thomas Krüger (SPD) sagte, aus Kostengründen würden sich voraussichtlich nur jeweils vier oder fünf Abgeordnete gleichzeitig in Atlanta aufhalten – bisher war es üblich, daß einer Delegation acht Abgeordnete angehörten. Der Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen im Sportausschuß, Matthias Berninger, hatte bereits vor einigen Tagen einen Verzicht auf die Reise angekündigt, um Kosten zu vermeiden. Markus Franz
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