Zwanzig Jahre Elbtunnels Alptraum

■ Drei Röhren feiern Geburtstag, aber Partystimmung kommt nicht auf Von Uli Exner

Das waren noch Zeiten: 10. Januar 1975, der neue Elbtunnel wird freigegeben. Alle HamburgerInnen freuen sich übers Jahrhundertbauwerk. Helmut Schmidt eröffnet stolz, und die renommierte Neue Züricher Zeitung beobachtet „eine Mischung aus überschäumendem Lokalpatriotismus und der Atmosphäre wie beim Stapellauf eines Ozeanriesen.“ Drei Tunnel auf einen Schlag – naja, nicht ganz, die Weströhre war nicht rechtzeitig fertig geworden – und keine Spur von Protest. Selige Zeiten: Auto gut, Tunnel gut, alles gut.

Und morgen? Der Elbtunnel wird 20 – Jubel, Trubel? Wohl kaum. Ein kleiner Jubiläumsstau vielleicht – „im Elbtunnel wurde die Höhenkontrolle ausgelöst“. Aber sonst? Keine Spur von Geburtstagsfeier. Der Tunnel nervt. Auf allen Spuren. Links wie rechts. Autofans wie Autoskeptiker. Beiderseits gilt das Jahrhundertbauwerk als Symbol verfehlter Verkehrspolitik. Die Argumente unterscheiden sich, das Ergebnis bleibt gleich: Der Elbtunnel ist eine Fehlplanung.

Es war der frühere Lokalchef des Hamburger Abendblatts, Erik Verg, der in einem Gastkommentar für die Zeit das erste Kapitel der unendlichen Geschichte der Tunnel-Kritik schrieb. „Warum hat man nicht von vornherein acht Fahrspuren vorgesehen?“, fragt Verg am 24. Dezember 1971 und spekuliert dann: „Vielleicht weil sich der Senat lieber kleinkariert als Hochstapler nennen läßt.“ Die Diskussion um eine vierte Röhre hatte begonnen. Drei Jahre vor der Eröffnung des Elbtunnels.

Untertrieben hatte die Stadtregierung nicht nur bei der Auslegung des Tunnels. Auch die Baukosten fielen weit höher aus als geplant. Die ersten Tunnelelemente waren bereits in den Elbgrund versenkt, als der damalige Bausenator Caesar Meister die Kosten noch immer auf rund 350 Millionen Mark bezifferte. Tatsächlich hat der Elbtunnel weit über eine Milliarde gekostet. Aber daran störte sich im nachhinein niemand.

Tunnels Alptraum blieb, daß er das provozierte, was er eigentlich hatte verhindern sollen: Staus. Konnte man zunächst noch die Schaulustigen verantwortlich machen, die derart langsam unter der Elbe hindurchzuckelten, „daß sich vor den Tunneleinfahrten Autoschlangen von zehn und mehr Kilometern Länge“ bildeten (Welt vom 22. 2. '75), hielten sich Politik und Publizistik in den folgenden Jahren an Vergs Stau-Interpretation: Drei Röhren waren für die anschwellende Blechlawine einfach zuwenig. Das einst gefeierte „Jahrhundertbauwerk“ wurde zum „Nadelöhr des Nordens“.

Heiße Pläne entstanden. Elbüber-, Elbunterquerungen westlich und östlich Hamburgs sollten her, in den Generalverkehrsplan von 1979 ließ der damalige Bausenator Volker Lange sogar neue Röhren einzeichnen, die mitten in der Stadt für „Verkehrsentlastung“ sorgen sollten, den „Baumwalltunnel“. Flausen allesamt, von denen sich nur eine hielt, die von Verg geforderte vierte Röhre. Sie soll für das sorgen, was sich die Autolobby schon von der Eröffnung des Tunnels versprochen hatte: Freie Fahrt vom Nordkap zum Mittelmeer.

Zweifel sind erlaubt. Nicht nur, weil mit einem Rezept aus den 70er Jahren ein Verkehrsproblem des nächsten Jahrtausends gelöst werden soll. Man ist ja – nicht zuletzt dank 20 Jahren Elbtunnel – inzwischen ein wenig weitergekommen in der Untersuchung von Verkehrsflüssen. Weiß, daß zusätzliche Straßen zusätzlichen Verkehr anziehen. Weiß, daß jede zusätzliche Straße das Defizit des Öffentlichen Personennahverkehrs erhöht, Pendler vom Umsteigen auf Busse und Bahnen abhält. „Es gilt schon heute als sicher“, bemerkte die Süddeutsche Zeitung im Januar 1992, mehr als drei Jahre vor dem frühest denkbaren Baubeginn für den neuen Tunnelbau, „daß eine vierte Röhre das tägliche Chaos nicht verhindern kann.“ Und fügte hinzu: Selbst wenn das Verkehrsaufkommen bis zum Jahr 2000 nicht stiege, „wäre vermutlich schon am Tage der Eröffnung der vierten Röhre der erste Stau formiert.“