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Leere im Ressort

■ Kulturkampf beim "Tagesspiegel": Auf dem Weg zur Hauptstadtzeitung desertiert das halbe Feuilleton

„Willkommen im Haifischbecken“ – mit diesen Worten begrüßte der neue Verleger Dieter von Holtzbrinck im September 1994 die erwartungsvollen Gäste zur Feier des millionenschweren Tagesspiegel-Relaunchs. Und schob ergänzend hinterher: „Ich meine nicht den freundlichen Tagesspiegel, sondern den gefürchteten Medienstandort Berlin.“ Ein mäßiger Gag, und den meisten Redakteuren dürfte das Lachen rasch vergangen sein – nicht nur, weil sich die selbsternannte Hauptstadtzeitung, wie alle Berliner Publikationen, nur mühsam über Wasser hält.

Der Tagesspiegel selbst ist zum Haifischbecken geworden, zumindest das Feuilleton. Haifisch ist dort Manuel Brug, der im Februar, von der Wochenpost kommend, die lange vakante Leitung des Kulturressorts übernahm. Seitdem herrscht in den Redaktionsfluren an der Potsdamer Straße statt vergeistigter Stille ein harscher „Kasernenhofton“, so ein Deserteur. Der neue Chef duldet keine Edelfedern neben sich – am liebsten schreibt er alles selbst. Wichtige Termine landen meist in seinem eigenen Kalender, den Kollegen bleiben die lokalen Highlights. In kürzester Zeit flüchteten darum zahlreiche Redakteure aus der Brug-Abteilung: Opernprofi Bernd Feuchtner wechselte zum Fachorgan Opernwelt, Musikkritikerin Christina Moles Kaupp verlängerte ihren Vertrag nicht, und auch Sachbuchredakteur Thomas Medicus hat zum kommenden Monat gekündigt: für das mit begnadeten Schreibern nicht gerade gesegnete Feuilleton ein schmerzhafter Aderlaß.

Auch Filmredakteur Harald Martenstein zog sich aus dem Feuilleton zurück, arbeitet aber weiter als Reporter im Haus. Nun ist er nicht mehr Brug, sondern direkt der Chefredaktion untergeordnet. „Ich habe mich dafür entschieden, unter diesen Konditionen weiterzuarbeiten“, erklärt er ausweichend.

Der Exodus der Experten ist das vorläufige Ende eines internen Eklats: Vor zwei Monaten verfaßte die gesamte Kulturredaktion in offener Rebellion einen Brandbrief an die Chefetage, in dem die Entlassung des neuen Vorgesetzten gefordert wurde. Erwartungsgemäß wurde das Gesuch der Kultur- revolutionäre abgeschmettert, der Aufstand erstickt – schließlich hatte Chefredakteurin Monika Zimmermann persönlich Manuel Brug als Statthalter ausgewählt. Nun herrscht im Tagesspiegel- Feuilleton ein kalter Frieden.

Die Kulturseiten des einstigen Intelligenzblattes sind derzeit nur noch ein Schatten vergangener Tage: Mühevoll werden die Lücken gestopft, die der Abgang der Aufsässigen gerissen hat. Noch deutlicher als zuvor fällt dadurch jene Konzeptlosigkeit ins Auge, welche die Redaktionsriege zum Aufstand veranlaßt hatte. Die Misere ist um so dramatischer, als der Tagesspiegel mit seiner als Tip- Konkurrenz konzipierten Programmbeilage Ticket gerade erst kläglich scheiterte. Mittlerweile wird das Verlustobjekt in ausgewählten Kneipen verschenkt.

Hinzu kommt, daß es innerhalb des Tagesspiegel-Feuilletons unlängst heftige interne Auseinandersetzungen über einen Artikel des jungrechten Redakteurs Tilman Krause gab, in dem er konservative Autoren im Dritten Reich neu bewertete. Pikante Fußnote: Tilman Krause, der sich auch als Autor am neokonservativen Bekenntnisband „die selbstbewußte Nation“ beteiligt hatte, war der einzige im Ressort, der sich nicht dem Schreiben zur Abberufung Brugs anschloß.

Manuel Brug selbst mag im Kulturkonflikt weder einen politischen noch inhaltlichen Richtungsumschwung sehen: „In anderen Städten sind solche Wechsel durchaus üblich“, deutet der Vielflieger in Sachen Oper den Aderlaß als Zeichen der Normalisierung sogar positiv. Denn: „Nur aus Spannungen erwächst ja Kreativität, besonders im Zeitungsbereich.“ Und überhaupt: „Ich bin mit niemandem im Streit geschieden.“

Auch Monika Zimmermann bemüht sich, die Vorfälle herunterzuspielen: „Nach einer langen Phase, in der das Ressort nur eine kommissarische Führung hatte, bedarf es einer gewissen Zeit der Umstellung“, meint sie lapidar. Sie habe den Brief an die Chefredaktion als Appell ernst genommen, sei aber selbstverständlich nicht auf die Forderungen eingegangen: „Wir haben hier ja keine Basisdemokratie.“ Die resolute Redaktionschefin, die ihren Kulturjournalisten zwecks Motivationssteigerung gerne mal mit Abmahnungen droht, hält Brugs Mitarbeiter- mobbing für die adäquate Form, um allzu freigeistige Tagesspiegel- Traditionen zu unterbinden. Briefe an die Chefredaktion seien wohl „eine typische Tagesspiegel- Form“, spottet sie.

Mit unpolitischer Gefälligkeit glaubt man bei Holtzbrinck, dem gefährlichen Auflagenschwund entgegensteuern zu können. Kein gutes Omen auch für Die Zeit, die unlängst vom derzeit stark expandierenden Verlag übernommen wurde und deren Mitarbeiter nun hoffen, daß sie ihr Redaktionsstatut vor ähnlichen Abstürzen schützt. Dabei hatte Verleger Dieter von Holtzbrinck die Tagesspiegel-Zukunft so schön ausgemalt: Eines Tages, so prophezeite er, werde „die beste deutschsprachige Zeitung aus Berlin und nicht aus Frankfurt oder Zürich kommen“. Und mehr noch: „Daß wir in einigen Ressorts schon früh die Spitze erreichen, ist dabei möglich.“ Daniel Bax

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