: Fußnoten der Forschung
■ betr.: „Auf eine Art wollte ich Ernst machen“, Interview mit ei ner Aussteigerin aus der rechten Schmock-Szene, taz vom 8./9. 6. 96
„Ob es einen faschistischen Kern in mir gibt?“, fragt sie. Ich frage, ob sie ernst fragt. Menschen als verächtliche Partikel von Massen ansehen, sich selbst nicht; die Unfähigkeit, in anderen Subjekte zu erkennen, in sich selbst nur den Reflex der Kameraderie einer möglichst weit oben schwimmenden Fettschicht gesellschaftlichen Drängens und Zwängens spürend; Menschen nichts wert achtend, sich selbst wegwerfend: Das ist nicht nur der Kern des faschistischen, sondern des totalitären Welterlebens überhaupt. Je nachdem, wohin gesellschaftliche Not oder Spekulation auf Reichtum den ruhmesgeilen Nachwuchs aus nach unten panischen, nach oben manischen Familien weht, finden sich die Begleit-MusikantInnen ideologischer Massen- und Blutexperimente links oder rechts, fundamental oder neuimperial sehr bald mit Schador, Jeans, Fliege, Glatze oder Bart des Propheten an den Sektkübeln der Vernichtungsapparate ein, um Nektar für die Helden abzusondern. Die Paradiesvögel des Terrors teilen mit den blasseren Profiteuren und den blutrünstigen MärtyrerInnen aus den nur noch das Leben einzusetzen habenden Deklassierten von Alter und Klasse den Irrtum zu glauben, in ihren bunten Elendsprodukten der Propaganda sei über den Reklamewert für die jeweilige Windrichtung und dem Wert für analytische Untersuchungen etwas enthalten, das ein länger dauerndes Menscheninteresse erzeugen könnte. Aber Jünger, der Jodler zum Bombenangriff, Nietzsche, der hüpfende Professor (Karl Kraus), d'Annunzio, Sorel, linke Heroiker und französische Bespringer des Fundamentalismus, sie alle sind nur noch Fußnoten der Forschung.
Solange es Erziehung und Erziehungsgeld gerade auch im „gutbürgerlichen Mittelstand“ gibt, wird es auch die verlorenen intellektuellen Sekten geben, die sich ihre Auflagen über die MachttaktiererInnen wallender Strömungen finanzieren und austragen lassen. Kommt tatsächlich eine totalitäre Zeit der Vernichtung von Subjekt und Politik, sind sie die ersten, an denen die Reinigungsrituale der Revolution zelebriert werden. SA, Rechtsabweichler, Linksabweichler: Brillenträger für den Pol-Pot- Holocaust. Kommt der Umsturz nicht, bleibt es bei der mißlungenen Kulturerschleichung. Wenn sie es dann nicht zu Focus, RTL oder Bild schaffen, bleibt Therapie (wovor Allesverächter naturgemäß panische Angst haben), oder die Exhibition einer Ruine des Ruhmleckens im Kulturzirkel, im Provinzfeuilleton oder auf Straßenschildern von Kleinstädten. Und die nächste Gymnasiasten- Generation denkt: Da muß doch was gewesen sein!
Ist es so ein Interesse wert, von sich und dem Leben einmal abzusehn und sich in einen Gully zu spucken?
Auch ich habe an einer Atmosphäre mitgeschrieben, die den ideologischen Rückhalt gab, Menschen zu töten. Ob Kapitalistenentführung oder Magdeburger Pogrom: wir haben eins gemein: grinsend mitgehetzt zu haben. „Kulturell“ versteht sich. – Aber dadurch, daß Intellektuelle den Mob mit halluzinatorischen Jux versorgt, wird der Mob nicht weniger gemein, sondern der/die Intellektuelle Mob.
Aber was sind neu-rechte Blutwursttiraden gegen das, was jetzt in der angeblich seriösen Presse im Philadelphia-Look mit lean-management die Vernichtung des politischen Subjekts durch die Umprogrammierung von BürgerInnen in KonsumentInnen der oberen zwei Drittel und in Nichtexistenzen des untersten Drittels der Gesellschaft betreibt? Klaus Wachowski, Alzey
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