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■ NormalzeitDer Schinken – eine Erfolgsstory

Dickes Lob von der ansonsten doch eher zu Skepsis neigenden Dorothee: „Du hast ja wirklich Ahnung von Wirtschaft!“ Wir hatten den vom Lichtenberger Bezirksamt veranstalteten „Tag der offenen Tür“ für Existenzgründer – im Kulturhaus Karlshorst, vis-à-vis des sowjetischen Offizierskasinos – besucht und dort auf einem Zettel per Ankreuzen geraten, wieviel Jungunternehmer es bereits im Bezirk gibt (3.000, 5.000 oder 7.000?).

Ich hatte mich für die mittlere Zahl entschieden, den Zettel in eine Urne geworfen und deswegen dann eine Woche später einen Anruf von der für die Wirtschaftsberatung im Bezirk zuständigen Frau Gadau bekommen: „Glückwunsch, Sie haben einen Schinken gewonnen!“ Abzuholen in der Magdalenenstraße 1, Zimmer 106.

Als ich ein paar Tage später dort vorbeikomme, ist gerade Mittagspause. Die Pförtnerin, Frau Pietzsch, gibt mir den Rat, „solange“ das weitläufige ehemalige Stasi-Gelände zu besichtigen. In der „Forschungs- und Gedenkstätte“ wimmelt es wie üblich von tumben Ami-Touristen, die immer wieder gern dem „Bösen“ in seine erloschenen Augen schauen – hier den zwei Bronzeplastiken von Marx und Dscherschinsky: „Die beiden großen Vorbilder des MfS“. Gegenüber dem Foyer der Firma Horch & Guck residiert jetzt die westdeutsche Möbelfirma Kusch & Co, und links nebendran sitzen die Sesselfurzer von Gauck & Co. Rechts nebendran haust das Arbeitsamt VI, wo bärtige Sachbearbeiter leichtbekleideten Thailänderinnen die Aufenthaltsgenehmigung mit Stempel & Co verlängern. Die Kneipe inmitten dieses Horrorensembles heißt „Feldherrenhügel“ – ohne Scheiß!

Ich habe das große Glück, einer Thailänderin mit Silikonbrüsten, die in Baden-Baden anschaffen geht, wie sie mir später erzählt, aus dem steckengebliebenen Aufzug helfen zu können, indem ich mit brachialer Gewalt einfach die Türen aufdrücke und ihr galant zur Freiheit hochhelfe. Dafür lädt sie mich auf den „Feldherrenhügel“ zu einem „Drink“ ein, das Ding hat jedoch geschlossen. Ich verspreche ihr, sie im „Club Chérie“ zu besuchen, wenn ich mal zufällig in Baden-Baden bin.

Zurück zum Bezirksamt: Vor dem Hochbauamt diskutieren vier ratlose Bauherren an zwei BMWs, einen Porsche und einen Mercedes gelehnt: „Ich habe am 3. in Zehlendorf meine Anträge reingereicht und am 29. Bescheid bekommen“. „Das nützt uns jetzt gar nichts.“ „Ich sag's ja bloß.“ „Was machen wir nun?“ „Gehen wir erst mal was essen!“ „Kennt sich einer hier in der Gegend aus?“ Das wird bestimmt wieder ein Investment-Flop.

Frau Gadau von Zimmer 106 hat Urlaub, aber Frau Lüth springt für sie ein und holt mir den Schinken aus dem Kühlschrank der Kaffeeküche. „Eigentlich bin ich nicht zuständig.“ Trotzdem kann sie mir verraten, daß die Existenzgründermesse mit Show- Einlage – es tanzte ein Kinderballett – ein großer Erfolg war, wenn man von den Rückmeldungen der zufriedenen Beteiligten ausgeht. Auch die Ballettschule, von Frau Frost war im übrigen eine Existenzgründung. Dazu gab es noch ein Seminar „Das Betriebskonzept – Kernstück der Existenzgründung“. Es wurde von einem Professor der FHTW und von Frau Dr. Haupt von der Wirtschaftsforschungs GmbH organisiert, die gelegentlich auch Standortanalysen für das Wirtschaftsamt des Bezirks macht. Zum Jahresende wird es im Karlshorster Kulturhaus noch eine „Handwerker-Kirmes“ geben, sonst ist erst mal nichts weiter geplant.

Frau Gadau, Frau Lüth, Frau Pietzsch, Frau Frost, Frau Dr. Haupt, Frau Noy Tschitagonk (aus dem Fahrstuhl) – was für interessante und dazu, soweit ich das beurteilen konnte, gutaussehende Existenzen diese ehemalige Stasi-Hochburg doch heute neu begründet! Hoch zufrieden ziehe ich mit meinem eiskalten Schinken in der Mittagshitze von dannen. Helmut Höge

wird fortgesetzt

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