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„Einige Prominente hierhin holen“

■ Wie der Tennis-Turnierveranstalter Gerry Weber gegen Rezessionen kämpft

Halle/Westfalen – „Der Lindenbaum“, erläutert die ganzseitige Eigenwerbung der 10.000-Seelen-Gemeinde Halle in Westfalen, „ist das Wahrzeichen unserer Stadt.“ Solche Erkennungssymbole benutzen die Stadtväter gerne, um ein heimatliches Flair von Romantik und Tradition zu dokumentieren. Abseits davon wurde Halle in den letzten vier Jahren ein echtes Identifikationsmerkmal beschert: Seit die Modeunternehmer Gerhard Weber und Udo Hardieck jährlich dort ein Herren-Tennis-Turnier auf Rasen veranstalten, weicht der provinzielle Mief zumindest Mitte Juni für eine Woche im Jahr dem Duft der großen, weiten Welt, und die Gemeinde am Südhang des Teutoburger Waldes ist plötzlich mehr als nur ein verkehrshinderndes Nadelöhr auf der Strecke zwischen Bielefeld und Osnabrück.

Genüßlich kann der Bürgermeister Wolff mit seinem Stadtdirektor Hälbig in jedem Jahr die emsigen Versuche der Turnierveranstalter verfolgen, die Popularität noch weiter anzuschieben. Diesmal zum Beispiel, als ohnehin bereits die Top-ten-Spieler Muster, Kafelnikow, Courier, Enqvist und Ferreira mit jeweils sechsstelligen Antrittsgeldern geködert waren, sollte kurzfristig noch der Hamburger speisende Tennis-Kojak Agassi verpflichtet werden. Für den hätte der Zuschauerliebling Leconte auf seiner Abschiedstournee vom Profi-Tennis sogar auf die bereits zugesicherte „Wild Card“ verzichtet.

Doch wie im letzten Jahr, als der Rasen bereits zum Auftakt das Zeitliche segnete und nur noch staubiger Boden zurückblieb, verfolgte das Pech auch 1996 die Webers, obwohl das Gras nun grünt wie nie. Kurzfristig sagte Agassi ab und dann auch Henri Leconte, offiziell weil er „seinen Flug verpaßte“, vermutlich aber eher, weil das Hin und Her mit Agassi demotivierend wirkte.

Trotz dieser Enttäuschung, und obwohl inzwischen die Nummer zwei der Welt, Thomas Muster, sowie sämtliche deutschen Spieler ausgeschieden sind, ist Gerry Weber zufrieden. Nicht zuletzt das ZDF verhilft mit täglichen Live- Berichten dem Veranstalter zu Schwärmereien, wie gut sich sein „Produkt vermarkten läßt“. Den Geschäftssinn mag der Firmenchef, der in einer rezessiven Branche gegen den Trend mit seiner Damenoberbekleidung 403 Millionen Mark im Jahr umsetzt, nicht verleugnen: Mit dem Gelände, in das um die hundert Millionen Mark entschwunden sind, soll bei den Open Rendite erzielt werden. Das Geheimnis des Erfolges ist der Rasen. „Die Fernsehzuschauer sind doch froh“, glaubt Weber, „wenn endlich einmal die Farbe des Untergrundes wechselt.“

Mit seinem Marketingkonzept „Aufschlag Westfalen“ beschwört er den Zusammenhalt der heimischen Unternehmen. Die großzügigsten seiner Sponsoren bekommen Gelegenheit zu ausführlichen Selbstdarstellungen, die Journalisten für ihre Geduld anschließend reichhaltig Wurstwaren, Telefonkarten, CDs oder bunte Bücher, damit sie gefällige Geschichten publizieren. Ein Bierbrauer wirbt für sich und das Turnier mit dessen Logo auf zwei Millionen Bierdeckeln; wie in jedem Jahr gibt es einen Turniersong. Und wenn in der nächsten Saison die Kicker von Arminia Bielefeld in der Bundesliga für etwa 2,5 Millionen Mark mit Webers Unternehmensschriftzug auf der Brust kicken, wird das nicht nur der Bekanntheit der Modefirma helfen, sondern dem Tennisspektakel selbst.

Da fragt niemand danach, daß die Gerry Weber AG inzwischen 92 Prozent ihrer Ware im Ausland fertigen läßt, weil Westfalens Näherinnen angeblich zu teuer sind. Da Weber alles regionale Engagement allein auch keine nationale Aufmerksamkeit beschert, will er zu den Open „einige Prominente hierhin holen, nicht nur aus dem Showbusineß, sondern auch aus der Politik“.

Derselbe komplizierte Spagat zwischen der Betonung des regionales Reizes und dem Wunsch, sich der großen weiten Welt irgendwie für eine gewichtigere Rolle anzubiedern, plagt auch Halle. Für „westfälischen Charme, Herz und Tradition“ wirbt die Stadt in ihrer Anzeige kurzerhand im einzigartigen regionalen Dialekt: „Come in and find out.“ Jörg Winterfeldt

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