■ Schöner Leben
: Kinder, Kinder

„Anna! Langsam! Paul! Kommst Du? Paul?! Paul!!!“ Natürlich macht Anna nicht langsam, natürlich trödelt Paul wieder, und natürlich wuselt es plötzlich dermaßen, daß selbst die notorisch dumpf dreinglotzenden Bremer fast die Contenence verlieren, will sagen: sie zeigen Reaktionen. Eine Horde Kinder entert die Straßenbahn, die beiden jungen Frauen haben alle Mühe, den Flohzirkus zusammenzuhalten. Alles sitzt, alles plappert durcheinander, alles in Ordnung. Dann aber kommt der juristische Teil der Operation. Die Frauen setzen ihre ernstesten Obacht-Gesichter auf, beugen sich nach vorne: „Und wenn Euch einer fragt, wie alt ihr seid: ihr seid drei.“ Heftige Empörung! „Ich bin aber vier Jahre!“ kräht Sophia, streckt die Hand in die Höhe und biegt mit der anderen den überzähligen Finger zurück. – „Ja, aber ihr sagt, ihr seid drei!“ Schon wegen der eingesparten Fahrkarten.

Es kommt, wie es kommen muß. Es kommt der Kontrolleur, und den beiden Frauen steigt die Nervosität in die Ohren. Das merkt der Profi, pfeilgerade blickt er den Frauen ins Gesicht: „Und wie alt sind die Kinder?“ Aber die Frauen haben sich gefangen. „Drei“, antworten sie ungerührt. Doch so schnell gibt kein Kämpfer für die Beförderungsentgeltgerechtigkeit auf. „Na?“ Und er setzt sein zuckersüßestes Gesicht auf. „Na, und wie alt bist du?“ Sophias Hand zuckt, aber: „Äh, äh, drei jahre alt.“ – „Und du? He! Und du?“ Paul denkt gar nicht daran, diesen unangenehmen Menschen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Der Kontrolleur wischt sich den Schweiß von der Stirne. Letzter Versuch. „Und wie alt bist du?“ Anna mit den blonden Locken dreht den Kopf zu ihm hin und lächelt ihr allerbezauberndstes Lächeln. Gong, Schluß, ein technischer K.o. Der Mann steigt aus, die Kinder steigen aus. „Anna, nicht so schnell! Paul?! Paul!!!“ Jochen Grabler