Aufmarsch der Düstermänner

■ Neurosis erschüttern den Schlachthof nur mäßig / Auch Colour my Soul und Unsane überzeugten nur durch Wut und Schärfe

Die Welt, sie steht noch. Selbst der ohnehin bröckelne Schronstein des Schlachthofes wurde weniger als erwartet in Mittleidenschaft gezogen, obwohl das wohl düsterste Konzert des Jahres über Bremen hinwegfegte: mit Neurosis gastierte am Freitag abend die Band an der Weser, die derzeit gemeinhin als atmosphärisch dichteste musikalische Umsetzung von Weltschmerz gilt. Doch obwohl wirklich nicht eien Sekunde auch nur ein Hauch von Optimismus aufkam - die hochgesteckten Erwartungen konnte der Aufmaqrsch der Düstermänner nicht vollends erfüllen.

Natürlich markierten Neurosis eien deutlichen Höhepunkt des Abends, waren den übrigen Kapellen in allen Belangen überlegen. Colour my Soul hatten mit einem technisch raffinierten Höllenritt durch Metal und Artverwandtes eröffnet, musizierten anspruchsvoll, aber ohne Atmosphäre entstehen zu lassen. Splitter brachten erstmals die gutgefüllten Ränge in Wallung. Auch wenn das Bremer Trio nicht allzu aufwendig komponiertee, stimmte die Energie. Prägnante Basslienien und verquere Rhythmik bot aber ein sich bald abnutzendes Polster für die schrille Vokalakrobatik von Sänger Duz, der einem dem Wahnsinn nahen Bajazzo gleich die unerträgliche Auswegslosigkeit des seins mit schrillem Gekreische und Gelächter verhöhnte. Unsane hieben um Klassen besser in die selbe Kerbe, blieben aber ebenfalls musikalisch auffällig. Auch hier überzeugten weniger die Songs als die Wut, der bis zum Anschlag verzerrte Bass und das Gebrüll, mit dem altbekannte Harmonien zu neuer Schärfe fanden.

Erst Neurosis gelang es, mehr als nur Zorn auf die Bühne zubringen. Die Gitarrenarbeit der Kalifornier ist seit ihrem zweiten Album „Souls at Zero“ wegweisend. Auch bei dem neueren Material schaffen Obertonfiepen und endlos verzerrte, durch dringende Einzelnoten Spannung, die in energischen, allen Klischees trotzenden Moshattacken aufgelöst wurde. Gelegentlich wagten sich Neurosis gar in unverzerrte Gefilde, doch auch dazu krachte und donnerte der Syntheziser so brutal wie nirgendwo anders. Statt wuchtig draufloszukloppen, verdichten Stammesrhythmen von bis zu drei Schlagzeugen die Lärmwände.

Und dennoch: Neurosis scheiterten am selbstdefinierten Anspruch, mehr als nur Musik machen zu wollen. Mittels des Klangs wolle man sich dem „Sirituellen“ nähern, hatte Scott Kelly in einem Interview erklärt. Das bedeutet im Klartext, daß der durchschnittliche Neurosis Song mittlerwele die 10 Minuten Marke locker überschreitet. Altes prägnantes Material wurde nicht gespielt. Im komplexen Ganzen ging der Fanden verloren, irgendwann stellte sich Desinteresse ein. Neurosis versanken selbst im Strudel aus Klängen und wirbelndem Bilderstrom. Der Stammeslärm aus Oakland mutierte zur Begleitmusik für die außerordentliche Dia- und Film-Show, die die Leinwand im Hintergrund der Califormier mit Embryonen Selbstmorden, psychedelisch flackernde Symbolen und zitternden bunten Linie füllte. Die Dunkelmänner machtem sich selbst obsolet und das war weniger markerschüttern, als schlicht und einfach schade.

Lars Reppesgard