Gar nicht gemütlich

■ In der Weserburg gilt das „Faustrecht der Freiheit“ – Kunst der 90 Jahre, mutig und irritierend

Es gibt Ausstellungen, die versteht man einfach nicht. Man steht vor den Exponaten und fragt sich: „Was soll das Ganze?“ Genau so eine Ausstellung präsentiert derzeit das Neue Museum Weserburg unter dem von Fassbinder entlehnten Titel „Faustrecht der Freiheit“. Da liegt ein „Octopus“ aus Strumpfhose, Papier, Perücke und Haarspange wie ein vergessenes Spielzeug auf einem Hocker (Sarah Lucas), schräg daneben zeigt ein Pornofoto ohne Titel ein nacktes Pärchen beim Fellatio (Larry Clark) und an der Wand gegenüber ringt ein Künstler mit einer von unzähligen Satzfetzen und Cartoon-Zeichnungen übersäten Leinwand um Selbst-Ortung im Comic-Stil (Sean Landers). Einige Schritte weiter findet sich ein stilistisch wild gemischtes Dreigespann, in dem der britische Shooting-Star Damien Hirst sich mit Körper, Tod und Maschine auseinandersetzt: An der einen Wand eine Art automatisiertes action-painting in grellbuntem Hochglanzlack, über Eck ein Readymade in Form eines Medizinschrankes mit entsprechendem Inhalt und davor, in einer Vitrine, ein Bullenkopf in Formaldehyd. Letzerer wird – eine der wenigen Korrespondenzen im Hängungskonzept – kontrastiert von einem in Öl gemalten „Minotaur“ von Richard Patterson, während sich den Raum nebenan so unterschiedliche Künstler teilen wie der amerikanische Post-Surrealismus-Star Matthew Barney, der verspielte Installationskünstler John Miller, der Beuys-Adept Franz Ackermann oder der beinahe traditionell malende Brite Peter Doig.

Solch extreme Heterogenität freilich ist gewollt. Denn in der Ausstellung geht es nicht wie gewohnt um den kunsthistorisch abgesicherten Blick, sondern vielmehr um die „Konfrontation mit der Halbwertzeit zeitgenössischer Kunst“, wie Kurator Peter Friese betont. Was gezeigt wird, ist nämlich das bewußt subjektive Kunstverständnis eines einzigen Sammlers, des Berliners Herbert Volkmann. Der aber sammelt nicht nach dem Motto: „Wo kriege ich noch einen billigen Baselitz her?“, kümmert sich wenig um die Frage allgemeiner Wertschätzung und -steigerung, sondern eignet sich – einst selbst praktizierender Künstler, heute Obst-Großhändler – die Welt der Kunst nach folgendem Motto an: „Ich beginne“, so schreibt er im äußerst aufschlußreichen Katalog, „mich immer dann für Dinge zu interessieren, wenn ich ihrer Ästhetik mit meinen Kenntnissen, Erfahrungen, Informationen nicht Herr werden kann.“

Dieses Prinzip des Sammlers Volkmann führt dann ganz bewußt zu jenem Ausstellungskonzept, das man einfach nicht versteht. Denn genau darum geht es: Gegenwartskunst zunächst nicht einordnen zu können. Nach längerer Beschäftigung freilich (hier ist der Katalog unerläßlich!) spürt man, daß sich das „einfach nicht zu verstehen“ in ein „nicht einfach zu verstehen“ wandelt. Jede der gezeigten Positionen nämlich kämpft auf ihre ganz eigene Weise mit der Frage: Was ist nach Warhol und Beuys (aber auch nach Fassbinder, den Sammler Volkmann als deutsches Pendant zu Warhol sieht) in der zusehends ineinanderfließenden Welt von Kunst und Werbung noch an Stellungnahme möglich?

Genau diese Frage ist es, die nicht nur die gezeigten Künstler verbindet, sondern auch den früheren Künstler und heutigen Sammler Herbert Volkmann bewegt. Seine ebenso mutige wie irritierende Sammlung ist im Neuen Museum Weserburg denn auch am richtigen Ort. Schließlich geht es diesem Haus seit seiner Gründung nicht nur erklärtermaßen um die privaten Sammler und deren subjektive Vorlieben, sondern auch ganz explizit um die noch nicht abgesicherte Gegenwart mit all ihren Irrwegen, von denen hier nicht eben wenige zu sehen sind.

Noch ein Tip: Wer nach dem Besuch dieser heterogenen Schau seine Verwirrung wieder etwas beruhigen möchte, dem sei die parallel laufende Ausstellung von Peter Doigs Gemälden in der GAK (Gesellschaft für aktuelle Kunst), direkt gegenüber, empfohlen. Doig – auch in „Faustrecht der Freiheit“ vertreten – zeigt unter dem programmatischen Titel „Homely“ eine geradezu beruhigend fotorealistische Malerei, die auf gänzlich unaufdringliche Weise mit vielfältigen Reminiszenzen auf kunsthistorische Traditionen anspielt. Bei seinen roten Bäumen vor gelbem Himmel, den Ski-Springern über flacher grüner Wiese, den gelben Menschen in gelber Landschaft oder den weißglänzenden Hochhäusern hinter dunklen Bäumen kann man sich bestens vom Chaos der gegenüber gezeigten Schau erholen. Moritz Wecker

„Faustrecht der Freiheit“, bis 8. September im Neuen Museum Weserburg. Parallel dazu: „Fassbinder on the road to USA“, Musiknacht mit Rosel Zech, Tim Fischer und The Brothers URB, am 3.8., 20 Uhr in der Schauburg. „Dead Ringers“, vom 23.8. bis 27.8. im Kino 46. „Faustrecht der Freiheit“ (Filmvorführung) am 28.8., 20 Uhr Im NMWB.

Peter Doig, „Homely“, bis 25.8. in der GAK, Teerhof.