: Schützt die deutsche Verfassung mühsam erlernte Rechtschreibung?
■ Ein Jurist will die Rechtschreibreform per Verfassungsbeschwerde stoppen: Sie verletze das Persönlichkeitsrecht und das Demokratieprinzip
Freiburg (taz) – Ein Rechtsprofessor aus Jena will die „Verunsicherung weiter Teile der Bevölkerung“ beenden und die geplante Rechtschreibreform vor dem Bundesverfassungsgericht (BVG) stoppen. Heute werden die Karlsruher RichterInnen über seinen Antrag auf eine einstweilige Anordnung entscheiden.
Der 48jährige Jurist Rolf Gröschner hat für sich und seine 15jährige Tochter Alena Verfassungsbeschwerde eingelegt. Er will damit die für den 1. Juli geplante Unterzeichnung eines „zwischenstaatlichen Abkommens“ mit Österreich und der Schweiz verhindern. Seiner Ansicht nach verstößt die Rechtschreibreform zum einen gegen das Demokratieprinzip, zum anderen greife sie auch unzulässig in das „Allgemeine Persönlichkeitsrecht“ ein.
Undemokratisch sei die Reform, weil sie nicht per Gesetz, sondern durch bloße Verwaltungsvorschriften eingeführt werde. „Wesentliche“ Entscheidungen müsse nach Ansicht Gröschners, der sich auf entsprechende BVG- Urteile berufen kann, der Gesetzgeber treffen. Doch was ist „wesentlich“? Die Kultusministerkonferenz hält die Reform, bei der die 212 deutschen Rechtschreibregeln um hundert reduziert werden, für einen „behutsamen Eingriff in den Schreibgebrauch“. Gröschner dagegen spricht von Schreibweisen „die am linguistischen Reißbrett entworfen wurden“.
Sorgen macht er sich aber vor allem um sein „mentales Lexikon“, in dem er die bisherigen Buchstabenfolgen und Regeln gespeichert habe. Er und seine Tochter seien nur dann bereit, auf ihre erworbenen Kenntnisse zu verzichten, wenn damit ein gesellschaftliches Ziel auf verhältnismäßige Weise erreicht werden könne. Ein solches Ziel sei es zwar, das Schreibenlernen zu erleichtern, nach Ansicht von Gröschner werde aber gerade dieses Ziel verfehlt. So werde etwa der häufigste deutsche Orthographiefehler (die Verwechslung des Artikels und Pronomens „das“ und der Konjunktion „daß“) in keiner Weise vermieden, wenn man künftig die Konjunktion mit „ss“ schreiben müsse.
Gröschner zitiert einen wissenschaftlichen Beitrag des Verfassungsrichters im Zweiten Senat, Paul Kirchhof, der sich ebenfalls gegen eine Reform der Schreibweisen ausspricht. Die Erfolgsaussichten erhöht das nicht: Entscheiden wird heute der Erste Senat. Christian Rath
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