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Ärzte unter Betrugsverdacht

■ Sechs Mediziner sollen durch falsche Abrechnung fünf Millionen Mark zu Unrecht kassiert haben. Strafanzeigen und Durchsuchung in Steglitzer Großlabor

Gegen sechs Laborärzte wird derzeit wegen Betrugsverdachts ermittelt. Die Mediziner würden verdächtigt, seit Juli 1994 kassenärztliche Leistungen falsch abgerechnet zu haben, erklärte gestern Justizsprecher Rüdiger Reiff. Er bestätigte damit Berichte der ORB-Sendung Klartext und der Ärztezeitung. Demnach besteht der Verdacht, daß das Steglitzer Großlabor fünf Millionen Mark zuviel abgerechnet hat.

Das Großlabor sei am Mittwoch der vergangenen Woche von der Polizei durchsucht worden, sagte Reiff. Dabei seien acht Umzugskartons mit Befundberichten und Abrechnungsunterlagen beschlagnahmt worden.

Der siebenstündigen Durchsuchung war eine anonyme Anzeige eines „Dr. med. Pünktchen“ vorausgegangen. Dieser hatte im Februar ein Rundschreiben an alle niedergelassenen Berliner Ärzte verschickt. Darin machte er darauf aufmerksam, daß das Steglitzer Labor mit 1.149 Abrechnungspunkten deutlich mehr abrechne als vergleichbare Laborpraxen.

Nach Recherchen der Ärztezeitung wurde bei Rachen- und Augenabstrichen der Punktwert für fünf Nährböden abgerechnet, obwohl nur drei Nährböden angelegt worden waren. Dafür rechnete das Labor statt neun Mark beispielsweise 15 Mark ab. Bei Aidstests wurde, wie aus internen Unterlagen hervorgehe, ein teurer Test abgerechnet, obwohl ein billigerer Test durchgeführt wurde.

Nach Regelungen in Bundesgesetzen ist das Gesamteinkommen der Ärzte in einem Budget festgelegt. Wenn Ärzte versuchen, ihr Einkommen durch mehr Diagnosen und Leistungen zu erhöhen, sinkt der Punktwert und damit der von der Kasse übernommene Preis für die einzelne Leistung.

Der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin (KV) hat vor falschen Schlußfolgerungen gewarnt und gegen den anonymen Dr. Pünktchen Strafanzeige gestellt. Allerdings hat die Vereinigung auch gegen zwei der sechs Praxisinhaber Anzeige erstattet. Das Labor war der KV bei Plausibilitätsprüfungen bereits aufgefallen, wie aus einer internen Notiz vom Dezember 1995 hervorgeht. Die Unstimmigkeiten wurden teilweise mit Kürzungen bei der Vergütung geahndet. Das Labor hatte einen Teil der Kürzungen aber vor dem Sozialgericht wieder eingeklagt.

So bezeichnete der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung, Roderich Nehls, den Verdacht auf Abrechnungsbetrug im ORB als „internes Fehlverteilungsproblem“. Er kündigte schärfere Überprüfungen an. Bei dem knappen Budget müsse das Geld fair verteilt werden, es ginge nicht an, daß „ein Arzt den anderen beraube“.

Der Präsident der Ärztekammer, Ellis Huber, erklärte: „Das Abrechnungssystem bestraft den ehrlichen Doktor und belohnt den cleveren Abrechnungsjongleur. Die Grenze zwischen Schummeln, Lügen und Abrechnungsbetrug sind fließend.“ dpa/taz

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