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Was tun mit dem Camembertfilm?

Der „Airbus“ als Modell für die europäische Filmproduktion? In Berlin diskutierte die „Europäische Filmakademie“ kommerzielle Strategien gegen Hollywoods Marktmonopol  ■ Von Dorothee Wenner

In Utrecht am Bahnhof gibt es einen Imbiß, der „Euro-Boller“ verkauft. Dieser fade Fleischklops ist die wohl weitestgehende Entsprechung des „Euro-Puddings“ in der Filmbranche. Das sind Produktionen, bei denen internationale Finanziers durchsetzen, daß französische Stars an portugiesischen Drehorten unter spanischer Regie englische Komödien spielen, die in Deutschland geschnitten werden und sich an ein euro-amerikanisches Publikum richten.

Vergangene Woche veranstaltete die „Europäische Filmakademie“ (EFA) in Berlin ein Symposium für all jene Produzenten und Regisseure, denen solcher „Euro- Pudding“ zwar der blanke Horror ist, die aber dennoch wissen, daß er als kommerzielle Zukunftsvision des Kinos realistischer ist als das Überleben der vielen kleinen nationalen Filmkulturen zwischen Island und Slowenien. Der britische Produzent und derzeitige EFA- Vorsitzende, Nik Powell, ließ diesbezüglich keinerlei Zweifel aufkommen. Zum Auftakt der dreitägigen Veranstaltung zeichnete er kurz und prägnant die Folgen auf, die das sogenannte „Airbus-Modell“ für den europäischen Filmmarkt haben würde. Wenn sich die hiesige Filmbranche nach dem Vorbild der Flugzeugindustrie ernsthaft der allmächtigen Konkurrenz multinationaler US-Konzerne stellen wolle, dann könnte in Zukunft wohl nur noch ein Bruchteil der bislang produzierten Filme realisiert werden. Die aber müßten mit einem entsprechend größeren Budget ausgestattet werden. Die Vermarktung der Filme und die Schaffung eines europäischen Starsystems würden dann jene Summen verschlingen, die bislang noch in unabhängige Produktionen und Autorenfilme fließen.

Als Beispiel nannte Powell Kevin Costners „Waterworld“, dessen Budget höher war als der gesamte Jahresetat der britischen Filmindustrie! Nun hieß der Titel des Symposium aber „Strategies for Survival – The Challenge of Independent Filmmaking“ und tatsächlich wurde auf den Podien und in den Pausen sehr konstruktiv und praxisnah darüber diskutiert, wie man im Eurozeitalter als Produzent und Regisseur finanziell und kulturell überleben kann.

Über ein erfolgreiches „Überlebensbeispiel“ berichtete zum Beispiel Vibeke Windelov, die dänische Produzentin von Lars von Triers „Breaking the Waves“. Insgesamt 28 (!) Finanziers aus verschiedenen europäischen Ländern brachte Windelov für diese langjährige Produktion zusammen und immer, wenn sie auf die diversen Krisen und Beinahepleiten zu sprechen kam, wurde im Publikum wissend, aber keineswegs schadenfroh gelacht. Schließlich hat es dieser Film ja geschafft, ohne Staraufgebot und mit der eigenwilligen Ästhetik des Autorenkinos, nicht nur den „Spezialpreis“ der Jury in Cannes zu gewinnen, sondern mittlerweile auch in alle wichtige Kinoterritorien verkauft zu werden.

Der Berliner Filmproduzent Albert Kitzler findet die Offenlegung solcher Finanzierungsgeschichten und Verkaufsstrategien nützlich und ermutigend: „In Deutschland gibt es ja für Produzenten keine Ausbildung wie in Amerika. Zudem lassen sich die US-amerikanischen Produktionsmodelle nicht einfach so auf unsere Verhältnisse übertragen. Ich glaube, daß man trotzdem viel von den Amerikanern lernen kann, zum Beispiel im Bereich der Stoffentwicklung. Hier in Europa wird oft viel zu früh mit dem Drehen begonnen.“

Amerikaner überlisten

Darüber bestand denn auch Einigkeit: Die Kunst des Drehbuchschreibens und des Produzierens, so Geoffrey Gilmore vom renommierten Sundance-Institute in den USA, sei sogar besser und mit weniger Kostenaufwand zu trainieren als Schauspiel und Regie.

Kontrovers wurde dagegen diskutiert, wie man sich als europäischer Filmschaffender dazu verhalten soll, daß ein nicht-englischsprachiger Film kaum Chancen hat, gewinnbringend vermarktet zu werden. Dieter Kosslick von der Filmstiftung NRW meint, die Diskussion erübrige sich, da es doch nur noch zwei Märkte gebe, den englischsprachigen Mainstream und den europäischen Kulturfilm, den sogenannten „Camembert- oder Pastafilm“, müsse man sich halt klar für das eine oder andere entscheiden. Als Gegenbeispiel berichtet der niederländische Produzent Hans de Weers über die Vermarktung des Spielfilms „Antonia's Line“ in den USA: Im Trailer hat man ganz einfach Szenen ohne Dialog gezeigt, dann wurden mit Hilfe des Computers die Rocky Mountains in den holländisch platten Plakathintergrund gezaubert, und schwupp: Die überlisteten Amerikaner gehen zuhauf ins Kino, einen holländischen Film mit Untertiteln zu sehen!

Gewiß sind solche Einzelbeispiele nicht auf andere Produktionen übertragbar. Kinofilme zu produzieren, das wurde auf dem Symposium deutlich, scheint heute wieder zu einem Metier für abenteuerlustige und risikofreudige Unternehmer mit Pioniergeist geworden zu sein. Genau solchen Leuten, so EFA-Geschäftsführerin Marion Döring, wolle das Symposium Mut machen. „Vielleicht war es lange Zeit in Deutschland zu leicht, Filme zu machen, die Leute sind etwas phlegmatisch geworden. Jetzt hat sich die Atmosphäre verändert, man ist sich mittlerweile der Marktsituation sehr bewußt. In diesem Moment kann für die deutsche Branche die Begegnung mit den Briten und Iren sehr inspirierend sein: Dort hat man zu kämpfen gelernt! Wir als Europäische Filmakademie bemühen uns mehr als früher, dem Film so gerecht zu werden, wie er es braucht. Wir möchten weg von unserem alten ,Exklusiv-Image‘ und uns der Industrie öffnen. Zudem wollen wir vermehrt vor allem den jungen Leuten das bieten, was sie von uns erwarten. Und das sind konkrete Hilfestellungen.“

In diesem Sinne funktionierte das Symposium für viele der Teilnehmer auch als Kontaktbörse zwischen Filmkunst und Filmindustrie. Zum Beispiel war die niederländische Filmemacherin Annick Vroom sehr zufrieden über die Gelegenheit, mit so vielen namhaften Produzenten aus England, Deutschland und den USA über ihr neues Filmvorhaben reden zu können. „Leider ändert das aber noch nichts an der Tatsache, daß in Europa derzeit kaum ein Produzent in die Förderung neuer Talente investiert.“

So sehr das Symposium von den rund hundert TeilnehmerInnen dafür gelobt wurde, kenntnis- und einflußreiche Branchenprofis zum kollegialen Ausplaudern von Tricks und Tips gebracht zu haben: Die Sorgenfalten in den Gesichtern waren nicht zu übersehen. Insbesondere die Berliner Filmschaffenden haben derzeit eine echte Durststrecke zu durchwandern. Jüngst hatte das Filmboard Berlin- Brandenburg die Branche in einem Rundschreiben über seine sehr schwierige Finanzlage informiert. Die drastischen Kürzungen der Berliner Zuwendungen auf 13,65 Millionen Mark statt 20 Millionen Mark und die Tatsache, daß man sich im letzten Jahr bereits auf die Förderung einiger Großprojekte festgelegt hat, führen dazu, daß derzeit „sehr wenig Spielraum für neue Projekte bleibt“, so Benedikt Berg-Walz, Leiter der Marktentwicklung im Filmboard.

Zudem meldete vor kurzem die Fachzeitschrift Screen International, der Filmboard-Vorsitzende Klaus Keil sei wegen der „chaotischen Finanzsituation“ von der lokalen Filmszene kritisiert und in der Folge von Manfred Stolpe bereits des Amtes enthoben worden. Das sei jedoch blanker Rufmord, so Berg-Walz, der überzeugt ist, daß sich das Förderkonzept des Filmboards doch bewähren wird. „Wir wissen, daß wir mit Filmen wie ,Werner 2‘ mit oder ,Das kleine Arschloch‘ keine Kunstwerke fördern“, so Berg-Walz. „Aber wir haben uns nun mal die Förderung der ,Filmkulturwirtschaft‘ auf die Fahnen geschrieben. Dabei ist ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit der sogenannte Regionaleffekt. Dafür ist zum Beispiel die mit 2,5 Millionen Mark geförderte Produktion von ,Prinz Eisenherz‘ ein gutes Beispiel, weil letztendlich 7,44 Millionen Mark in der Region bewegt wurden.“ Auf die Frage, inwiefern diese Förderpolitik des Filmboards ein Schritt Richtung „Airbus-Modell“ sei, antwortete der Pressesprecher des Filmboards, Jens Steinbrenner: „Insofern wir aufgehört haben, nach dem Gießkannenprinzip zu fördern, gibt es da eine gewisse Annäherung.“

Die vielen Vokabeln und Vergleiche, die auf dem Symposium aus nicht-filmischen Wirtschaftszweigen benutzt wurden, mögen da und dort für Skepsis unter den anwesenden Künstlern gesorgt haben. Manchem mögen sie aber auch den Weg zu Schlupflöchern gezeigt haben, wo man zum Beispiel der „Diktatur der Komödie“ entkommen kann. Vielleicht ist es gar nicht so verkehrt, wenn Leute mit ungewöhnlichen Filmideen sich außerhalb der Filmszene nach Finanzierungsmöglichkeiten umsehen. Vielleicht lassen sich dort ja auch ganz nebenbei interessante Stoffe entdecken ...

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