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„Sich bepinseln vor Lust“

■ Ungelogen: Im Lilienthaler Rathaus gibt es eine Ausstellung unter dem Titel „Erotisches“ / Sublime Hängung ungewöhnlicher Objekte geringerer Begierde

Lilienthal hat's, möchte man ausrufen. Wer hätte im roten Backsteinbau in der Klosterstraße, welches das Rathaus darstellt, einen in Gips getauchten BH der Kulturamtsleiterin Antke Bornemann erwartet. An der Wand! Eigene Kleidungsstücke so in der Öffentlichkeit zu präsentieren, erfordert besonders in ranghohen Positionen einen Mut, den wir nur aus der Kunst kennen. Und tatsächlich: Es handelt sich bei dem ungewöhnlichen Wandschmuck um ein Kunstobjekt im Rahmen der Ausstellung „Erotisches“, die bis Ende Juli Kulturwanderer und Erotikfreunde gleichermaßen ins Wümmestädtchen locken.

Zur Eröffnung hatte, glaubt man lokalen Presseberichten, die hier nicht ausstellende Kulturreferentin Cornelia Baumann eine vorläufige Definition von „Erotik“ angeboten: Wenn Pornographie Fastfood sei, entspreche Erotik der Delikatesse. Und letztlich sei die Liebe ohne Erotik nicht vorstellbar. Leider hilft diese Definition nicht direkt bei der Auswahl von Kunstwerken für eine Ausstellung „Erotisches“. So entschloß man sich, jeden teilnehmenden Künstler selbst definieren zu lassen, was erotische Kunst ist. Anne Hermsen findet eine überlebensgroße rote Klatschmohnblüte eROTisch (um einmal mit dem Zaunpfahl zu winken). Oliver Zabel legt polierte Steine auf roten Samt. Manuel Garde zeigt einen Männerkopf mit Mösenbart auf Dachpappe, eine Kollage aus Zeitungsschnipseln. Garde hat einmal geschrieben: „Der Begriff Potenz drängt sich bei ihrem (der Bilder aus dem Medium Tageszeitung / BuS) Anblick geradezu auf.“

Spannung, Kontrast – diese Begriffe scheinen bei vielen Künstlern zur Erotik zu gehören wie der Gummibaum zum Rathaus. Und so entsteht innerhalb dieser spannenden Lilienthaler Ausstellung besonders viel Kontrast zwischen den erotischen Exponaten und dem gewöhnlichen Umfeld (Gummibäume, Toilettentüren usw.). Delikat sind die Fotos von Jürgen Kampa, die zu Recht den Gang des Gemeindedirektors zieren. Darauf entdecken wir meist zwei Nackte, die so tun, als seien sie sich nah, die aber in Wirklichkeit so weit voneinander entfernt sind wie zwei Nudisten. Manchmal betritt der Ausstellungsbesucher einen falschen Gang, trifft bei Zimmer 19 auf ein Ölgemälde, auf dem ein Bauer seine Hühner füttert. Dieses Bild hängt aber immer im Rathaus, wenngleich auch es Phantasien freizusetzen vermag. Ein Kohlebild plazierten die Ausstellungsmacher neben der Gemeindekasse; ein geknüpfter Wandteppich mit einem Bildnis der Muttergottes weist auf die Tür zum Standesamt hin. Die Hängung ist sublim!

„Ein Pinsel hat in der Tat etwas überaus Erotisches,“ findet Volker Kühn, bei dessen Kunst zweifellos Sigmund Freud Pate stand. Kühn gestaltet gedankenschwere, dafür umso fröhlicher ausgeführte Objekte wie „Geborgenheit“, ein Bärchen zwischen zwei Brüsten, auf dessen Knien ein winziger Anzugträger sitzt. Kühn weist in einem Programmbeitrag zum Thema „Erotik“ auf den Ausdruck „sich bepinseln vor Lust“ hin. Auf die Grundlagen seiner Kunst rekurriert dagegen Jürgen Maisenbacher, wenn er konstatiert: „Für mich persönlich ist der weibliche und der männliche Körper (...) am ehesten durchdringbar als Formbares darzustellen.“ Der Besucher verläßt die Ausstellung nicht ohne ausführlich über die Möglichkeit einer „Erotik des Denkens“ nachgedaccht zu heben. BuS

„Erotisches“, Rathaus Lilienthal noch bis zum 31. Juli. Die Ausstellung der Gemeinde Lilienthal ist geöffnet Mo. bis Fr. 10-12 Uhr, Mo. und Di. auch 15 bis 17 Uhr, Do. auch 15 bis 18 Uhr, Fr. auch 15 bis 16.30 Uhr, aber Mittwochs nie. Man verpasse nicht, auch Murkens Gasthof vis-à-vis zu besuchen, der zwar kein Gasthof ist, sondern eine Bibliothek und die VHS beinhaltet, aber auch noch mehrere Exponate beherbergt. Zum Beispiel einen erotischen Spiegel, der so gehängt ist, daß Menschen ab 1,85 Meter ihren Bauchansatz sehen!

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