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Heil Fleisch! zum Einüben Von Wiglaf Droste

„Mehr Emotion!“ verlangt der Regisseur Christoph Schlingensief in seinem Bühnenstück „Rocky Dutschke 68“ an der Berliner Volksbühne. Da fällt einem gleich wieder ein, daß „Sie Regisseur!“ eine der lustigsten und treffendsten Invektionen des Käpt'n-Haddock-Meisterschülers Herbert Wehner war. Denn die Welt ist ja bereits bis zum Bersten angefüllt mit sinnloser Emotion; was das Hirn angeht, ist sie allerdings eher leer. Vom Grad der Geistesferne in zumindest dem Teil der Welt, der Deutschland heißt – ein Wort, das mit aggressiver Begeisterung und mehreren Ausrufezeichen zu brüllen immer beliebter wird –, kündete die Austragung der Fußball-Europameisterschaft, obwohl sie gar nicht in Deutschland stattfand. Das ist auch nicht nötig: Die Deutschen haben Deutschland im Kopf und sonst nichts. Und ganz gleich, wieviel Wert man darauf legt, nicht dazuzugehören: Per Television wurde man eingemeindet in die Volksgemeinschaft, die man doch aus gutem Grund ablehnt. Genauso kategorisch, wie man es Ende November 1989 zurückwies, sich von Antje Vollmer und Sabine Christiansen befehlen zu lassen, angesichts der Ermordung Alfred Herrhausens „Abscheu“, „Bestürzung“, „Entsetzen“ und „Trauer“ zu fühlen, obwohl das doch sehr private und explizit nicht-kollektive Empfindungen sind, in die der Staat und seine Repräsentanten niemandem hineinzureden haben, weil sie ihn, den Staat, nichts angehen, mußte man sich gut sechseinhalb Jahre später gegen die Zumutung verwahren, daß man, weil man dem Paß nach Deutscher ist, die amorphe, stumpfe und sehr unangenehm anzusehende und anzuhörende sog. „Freude“ seiner Landsleute zu teilen habe. „Lassen Sie die Korken knallen zu Hause, liebe Freunde“, wurde man am Abend des 30. Juni, als die deutsche Fußball-Nationalmannschaft Europameister geworden war, von der Seite angesprochen. Der Mitschnacker war der ZDF-Angestellte Béla Réthy, der nicht mein Freund ist und es so, wie er Fußballspiele im Fernsehen kommentiert, auch niemals werden wird. Auch die These, daß „wir alle uns freuen“ würden, wird durch ihre penetrante Repetition ja nicht richtig; zur Behauptung des Werbeträgers Karlheinz Feldkamp, nach dem 1:0 der tschechischen Mannschaft seien „wir richtig ein bißchen down“ gewesen, kann ich nur sagen: ich nicht.

Er hoffe, er habe „gutes Heilfleisch“, hatte eine Woche zuvor das „Keine Macht den Drogen“- Modell Jürgen Klinsman erklärt, das ja vor allem deshalb so unsympathisch ist, weil es sich allerorts als Sympath anbiedert; sieben Tage später rief seine Nation „Heil Fleisch!“ zum Einüben für Zeiten, wo es dann nicht um Fußball gehen wird. Und alle machen alles mit – das schwarzrotgoldene Gejaule hat längst Einzug gehalten in die linken bzw. ehemals linken Milieus. Begeisterung auf dem Fußballplatz ist mir nicht fremd; als Südtribünen-Stehplatz-Fan von Borussia Dortmund habe ich mich schon Dinge rufen hören, die ich hier nicht wiedergeben möchte. Aber ergriffen sein, wenn Béla Réthy schluchzt: „Klinsmann weint“? Mich mitfreuen, wenn Kohl, Kanther, Vogts, Beckenbauer usw. ihr Fest feiern? Dabei mittun? Eine Fahne schwenken? „Deutschland!“ brüllen? Um es mit einem Wort von Gisela Güzel zu sagen: jamais.

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