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WühltischZurück in den Mutterleib

■ Sind Autos noch Autos oder bloß cremefarbene Kokons?

Mit einem Kupplungsschaden kündigte mein D-Kadett, Baujahr 80 (Typ Spießerauto, meint B.) einfühlsam an, daß der Zeitpunkt der Trennung unwiderruflich nahte. Ich hatte verstanden und mußte mir schon bald darauf eingestehen, daß meine Liebesblicke längst auf andere Modelle gingen. Ich nahm mir vor, Gefallen an der Vorstellung eines neuen Autos zu finden. Es gibt so etwas wie eine Vorfreude auf Verliebtheit, die sich noch auf kein bestimmtes Objekt richtet, und die imaginierte Kaufentscheidung ist ihr bestes Surrogat. PS und kW spielen keine Rolle, Airbag und Seitenaufprallschutz tragen nichts dazu bei. Reiner Günzler, wenn es ihn noch gäbe, würde nicht helfen können, und Testzeitschriften aller Art bleiben einem in diesem Stadium verschlossen.

Was wollte man auch damit? Ein Auto ist ein Auto ist ein Auto. Angesichts der einleuchtenden These, unter der alles umfassenden Herrschaft des Konsums zu leben, wird man doch verlangen dürfen, von den Waren nach allen Regeln der Kunst affiziert zu werden. Die Automobilwelt ist darin fraglos am weitesten vorgedrungen.

Man muß die Produkte nicht erst im Warenhaus aufsuchen, sondern kann sich schon draußen vor der Tür auf die Vielfalt des Angebots einstimmen. Ist der Blick erst einmal geschult, überschaut man die einschlägigen Marken recht rasch. Klassiker wie der neue Porsche Carrera kamen aus pekuniären Gründen selbstverständlich nur zu Schulungszwecken in den Blick. Ich liebe diese Erdung des tiefer gelegten Chassis und die breiten Reifen, die an die profillosen Slicks der Rennkarossen erinnern. An der Mercedes-E-Klasse fiel mir auf, daß derzeit ovale, leicht nach hinten geneigte Doppelscheinwerfer mit einem Kulleraugenzwinkern in den gehobenen Kategorien wiederkehren. In der Mittelklasse sieht man statt dessen Schlitzformen, die so etwas wie individuelle Geschmäcklerei ausdrücken und dabei doch nur eine Anbiederung an die distinktiven Bedürfnisse von Aufsteigern verraten.

Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wieviel gestalterischer Einfallsreichtum neuerdings auf die Felgen verwandt wird? Während mein D-Kadett in einer dem Brutalismus verwandten Kunstlosigkeit einen unverstellten Blick auf stählerne Gehäuse freigibt – man hat die Radkappen damals einfach weggelassen –, kokettieren die neueren Modelle nunmehr mit unterschiedlich elegantem Speichendesign. Vorbei die Zeiten, als das Auto nichts weiter war als eine Prothese zur Stützung des psychogenen, labilen, männlichen Selbstbewußtseins. Mit und im Auto gelang dem Mann ein letztes Mal die Erweiterung des herrschaftlichen Körpers, eine Art Bodybuilding ohne lästiges Schwitzen. Es zählte, was einer unter der Haube hatte.

Nun wird bloß noch geträumt. Überall Cremefarben und geschwungene Formen. Das Automobil will Kokon sein. Die phantasierte Rückkehr in den Mutterleib wird selbst beim Crash durch einen wundersam weichen Airbag nicht gestört. Keine ruppige Stoßstange erinnert noch an den leichten Blechschaden beim Einparken.

Dazu passen die Infantilisierungstendenzen, deren stärkster Ausdruck die Rundeier der Kleinstkategorie sind wie Renault Twingo, Opel Corsa und Nissan Micra. Ebenso setzen verpuppte Sportflitzer wie der Opel Tigra oder das neue Swatch- Auto, der Mercedes der A- Klasse auf Verniedlichung und Kindchenschema. Anders dagegen Exoten wie Daewoo und Hyundai, die trotz allen Bemühungen, nach Auto auszusehen, doch nur signalisieren, daß es zur richtigen Marke offenbar nicht gereicht hat.

Ich muß gestehen, daß die Vorfreude aufs neue Auto irgendwann erlahmte. Die Liebesblicke, die einer auf das noch unbestimmte Objekt richtet, können einer echten Beziehung im Grunde nichts anhaben. Ich verzieh meinem D-Kadett auch noch den Totalausfall der Lichtmaschine. Mittlerweile hoffen wir gemeinsam auf den nächsten TÜV. Harry Nutt

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