: Auch Häuser wollen handeln
Die Frankfurter Ausstellung „Filmarchitektur“ zeigt die Halbwelt zwischen Reißbrett und Beton. Von Murnau bis Burton macht das Kino gut Wetter für avantgardistische Architektur ■ Von Kolja Mensing
Für den Film „Asphalt“ baute der Architekt Erich Kettelhut 1928 eine 230 Meter lange Berliner Straße im Studio auf. Hochaufragende Schaufensterfassaden begrenzen eine schnurgerade Straße, gigantische Lichtreklamen künden von modernen Zeiten: Idealisiertes Berlin, klare, plakative Formen, nach denen die züchtige Geschichte um einen Schutzmann und eine laszive, aber ehrliche Juwelendiebin verlangt, die in „Asphalt“ erzählt wird. Auf diese Architektur mußte die Hauptstadt in der Realität noch lange warten.
Seit den frühen zwanziger Jahren macht der Film sein Publikum mit der architektonischen Avantgarde vertraut. Wie er sie anpreist und zeitweise auch scharf kritisiert, zeigt jetzt eine Frankfurter Ausstellung. „Set Designs von ,Metropolis‘ bis ,Blade Runner‘“ lautet der Untertitel – die Ausstellung durchläuft 70 Jahre Architektur- und Filmgeschichte; sie will zu Recht die beiden nicht trennen. Schon in Robert Wienes „Cabinet des Dr. Caligari“ (1920), dem ersten expressionistischen Film, wird Architektur psychischer Ausdruck: ein totes Mädchen wird wie ein Munch-Modell über eine Angstbrücke geschleift, und die Häuserwände scheinen nachts Passanten erdrücken zu wollen.
Dr. Caligari meuchelte noch in einer Kleinstadt. Die Filmarchitektur wollte aber schnell mehr Spielraum. Erst in den betonierten und von Stahlpfeilern durchzogenen Großstädten treten Menschen und Mauern gemeinsam in Aktion. Häuser beginnen zu handeln. Der Stummfilm „Algol“ von Hans Werckmeister zeigte 1920 zum erstenmal eine frei konstruierte, visionäre Schreckensstadt: mit Hochhäusern, von deren obersten Stockwerken aus die Bewohner bis ins bäuerlich-idyllische Nachbarland schauen können, das ihnen nun auf immer verwehrt bleibt.
Natürlich fehlt Fritz Langs „Metropolis“ nicht, und „Blade Runner“-Fans erkennen das Vorbild. Filmarchitekt Lawrence G. Pauli hat Lang genau studiert und zum Beispiel die Polizeizentrale über den Dächern der Stadt ziemlich genau vom Turm von Babel in „Metropolis“ abgekupfert. Entgegen anderslautender Behauptungen hat sich „Metropolis“ aber begeistert für die moderne Baukunst eingesetzt, auch wenn die dazugehörige Gesellschaft verloren gegeben wurde. In einem Entwurf von Erich Kettelhut strich Lang eine mittelalterliche Kathedrale schlicht durch, obwohl sie eigentlich in der Handlung auftauchen sollte. An den Rand notiert er: „Kirch fort, dafür Turm Babel.“
Mit „Sunrise“, einem Film über die heilende Wirkung der Großstadt auf eine zerrüttete Farmerehe, brachte Friedrich Wilhelm Murnau 1927 die europäische Moderne auf amerikanische Leinwände, wo sie dann mit der ebenfalls importierten Psychoanalyse zum Partythema avancierte. Murnaus Architekt Rochus Gliese hatte die Skizzen für die „Sunrise“- Bauten noch in Europa angefertigt. Er zitiert die Glasfassade des Dessauer Bauhauses und das futuristisch geschwungene Berliner Mosse-Haus, das Erich Mendelsohn Anfang der zwanziger Jahre gebaut hatte. Das Paar in „Sunrise“ versöhnt sich schließlich nicht in einer dunklen Kaschemme, sondern in einem hellen, topmodernen Café. Murnau war mit seinen bewegten Häuserbildern schneller als die Architekten selbst. Als sein Großstadtmelo in den amerikanischen Kinos lief, sah die Neue Welt rein architektonisch alt aus: Le Corbusier hatte New York nicht einmal gesehen. Durch den solchermaßen vorantreibenden Film war auch ein Massenpublikum schon auf die architektonische Zukunft eingestimmt.
Der Nationalsozialismus trieb dann die entsprechenden Architekten wie Mies van der Rohe aus der Alten Welt in die Emigration nach Übersee. Innovation kam von nun an aus der anderen Richtung. Und so beginnt der zweite Teil der Ausstellung mit einem strahlenden Modell des Lichtbaus aus „Fountainhead“ (1949). Gary Cooper spielt einen jungen Architekten, der eng an die Figur Frank Lloyd Wrights angelehnt ist und seine „curtain walls“, großflächige Glasfronten, mutig gegen die Kritik der Zunft durchsetzt. Die historische Architektur erweist sich als korrupt und irgendwie böse, während Cooper einen neuen, freien Künstertypus verkörpert: einen Michelangelo der Hochhäuser.
Zweifel am Projekt der architektonischen Moderne erreichten schließlich auch das Kino, das in „Fountainhead“ noch als Motor für fortschrittliches Bauen eingetreten war. So bereitwillig der Film seine Kulissen den Architekten überlassen hatte und auch weiterhin überließ, nun wurden alle dramatischen Mittel aufgefahren, die Angst vor dem Untergang des Abendlandes in Szene zu setzen. Zeitgenössischer Bauwahn wird zum Ausgangspunkt für Verfallsszenarien: 1974 wird der „Sears Tower“ in Chicago gebaut, lange Zeit einer der höchsten Wolkenkratzer der Welt. Im gleichen Jahr zeigte „Flammendes Inferno“ (Regie: John Guillermin und Irving Allen), zu welchen fatalen Situationen ein Brandfall in Gebäuden führen kann, die über einhundert Stockwerke haben. Im Katastrophenfilm „The Towering Inferno“ rächt sich das moderne Babel an seinen Baumeistern, die Stadt wird wieder zum gefräßigen Moloch.
In den zwanziger Jahren, als es kein Geld für aufwendige Häuser gab, wandten sich viele arbeitslose Architekten dem Film zu. Vor allem in der „Gläsernen Kette“, einer Avantgardegruppe, wurde theoretisiert und begeistert entworfen. Einige der Baumeister sollen sogar zu Drehbuchautoren geworden sein, um ihren architektonischen Utopien eine angemessene Handlung zurechtzuschneidern: Der Architektenfilm nahm den Autorenfilm vorweg, wenn die Projekte auch meistens im Planungsstadium steckenblieben.
Inzwischen dürften sich die Preise von Filmen und Hochhäusern angeglichen haben. Im Zeitalter der High-Tech-Produktionen kosten Kulissen, die nicht nach Pappe aussehen sollen, eine Menge Geld. Architektonisch interessante Filme sind daher vor allem unter den Mainstreamproduktionen zu finden. Katastrophenfilme und effektüberladene Science-fiction – die Frankfurter Museen kennen keine Berührungsängste, und so stehen hier auch die bisher selbst von 007-Fanatikern unterschätzten Bauten zum James- Bond-Streifen „Moonraker“.
Der Ausstellung, die einige ihrer inzwischen über mehr als 200 Exponate bereits im letzten Jahr zum hundertjährigen Kinojubiläum in Berlin zeigte, ist das langsame Wachstum während zweier Stationen in den Vereinigten Staaten gut bekommen. Trotz des Materialreichtums konzentriert sie sich streng auf eine Facette im Umgang von Film mit Architektur. Zu sehen sind Städte und Gebäude, die ausschließlich für einen Set entworfen wurden und architektonische Realität nur als Zitat benutzen – wie zum Beispiel Shin Takamatsus futuristische Zahnklinik, die aus den aufufernden Bauten von „Gotham City“ herauslugt. „Filmarchitektur“ widmet sich allein den Freiräumen, die der Film der Baukunst öffnet: Die Filmstädte fungieren als gigantische Experimentierlabors der Avantgarde – oder illustrieren die Kritik an der Moderne. Und die Entwürfe der Architekten wurden in der flüchtigen Kulissenwelt zwischen Reißbrett und Beton Wirklichkeit: in den zerklüfteten Stummfilmbauten, in Rick Deckards Los Angeles des Jahres 2019 oder im neoromantischen Comic „Dick Tracy“.
Deutsches Filmmuseum/ Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main, bis 8. September
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