Gedächtnis der DDR-Opposition vor dem Aus

■ Kürzungen bedrohen „Robert-Havemann-Archiv“. Einmalige Unterlagen

Wenn Werner Theuer über seine Schätze spricht, scheint er für Momente alle Sorgen zu vergessen. Der gelernte Archivar, der bis zu seiner Ausreise 1984 als kirchlicher Friedhofsmeister in Ost-Berlin tätig war und mit politischem Theater den Argwohn der Herrschenden auf sich zog, betreut den einzigartigen Nachlaß des DDR- Regimekritikers Robert Havemann. Doch der Bestand dieses Archivs des Bürgerprotests in der DDR ist durch Sparmaßnahmen akut gefährdet.

Bis zur Wende befand sich in der Schliemannstraße in Prenzlauer Berg ein Kindergarten. Heute birgt hier das „Robert-Havemann-Archiv“ auf einer Fläche von gut 180 Quadratmetern eine einmalige Dokumentation. Seit über vier Jahren trägt hier eine kleine Gruppe ehemaliger Bürgerrechtler in mühevoller Kleinarbeit die Lebenszeugnisse derer zusammen, die einst von SED und Staatssicherheit verfolgt wurden.

Dazu zählen nicht nur Texte, sondern auch andere Zeugnisse von Mut und Zivilcourage. In einem Stahlschrank schlummern Videofilme mit der einzigen vollständigen Dokumentation des Zentralen Runden Tisches der DDR. In enger Partnerschaft arbeitet im gleichen Haus auch das Matthias- Domaschk-Archiv, das 1992 aus der Ostberliner Umwelt-Bibliothek hervorgegangen ist und wertvolle Unikate über die DDR-Bürgerbewegung besitzt.

Doch ob diese einmaligen Archive das Jahr 1996 überleben, steht in den Sternen. Denn wie viele andere Projekte der Bürgerbewegung ist die Finanzierung völlig ungewiß. Ohne ein „Notprogramm“ werden sie im nächsten Jahr nicht auskommen, sagt Geschäftsführer Andreas Otto. Vier von zwölf MitarbeiterInnen, die über das Arbeitsförderungsgesetz beschäftigt waren, mußten bereits entlassen werden. Von den verbleibenden acht haben lediglich drei bislang die Zusage, daß sie auch 1997 noch bezahlt werden, dann allerdings nur mit 75prozentiger Anstellung. Und selbst die Stellen, die der Berliner Landesbeauftragte für die Stasi-Aufarbeitung finanziert, sind noch unsicher.

„Das ist ein unhaltbarer Zustand“, sagt Tina Krone, die das Havemann-Archiv mitbegründet hat und von Anfang an auch hier beschäftigt ist. Den Mitarbeitern macht auch der Erhalt der einmaligen Dokumente zu schaffen. So müßten Briefe von Havemann aus dem Jahr 1945 dringend konserviert werden, weil sie zu zerfallen drohen. Doch auch dafür fehlt das Geld. „Das ist ein ständiges Rennen gegen die Zeit“, klagt Wolfgang Barnick. In wenigen Jahren, so seine Prognose, werden außerdem die meisten der Dokumente, die sich heute noch auf Dachböden und in Kellern befinden, vernichtet sein. Die Geschichte der Opposition wird dann, so befürchtet Gerold Hildebrand, völlig aus dem Blick geraten. Und auch die Bildungsarbeit an den Schulen wird wohl aus Personalmangel eingestellt werden müssen.

Doch nicht nur diese Perspektive hinterläßt Bitterkeit. Fehlgeschlagen ist auch der Versuch, die Öffentlichkeit über diese Notsituation zu informieren. Und das ausgerechnet an dem Tag, an dem das Bohleysche Bürgerbüro im Blitzlichtgewitter der Medien geboren wurde. Mehr Absprache und Solidarität hätten sie sich schon gewünscht, sagt Werner Theuer. Denn an jenem 17. Juni tagte in Berlin auch die Enquete-Kommission des Bundestages zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Ihr Thema hieß Bürgerbewegung und hätte nur zu gut als Podium für die gefährdeten Archive dienen können. Doch die vorbereitete Erklärung von Havemann- und Domaschk-Archiv durfte am Tagungsort nur ausgelegt, nicht einmal verlesen werden.

Die Hüter der Archive fordern eine Stiftung auf Bundesebene. Sie soll den bedrohten Projekten eine sichere Zukunft verschaffen. Das Geld für den Erhalt ihrer einmaligen Sammlungen, so die Forderung, müßte aus dem Vermögen der SED und dem der Blockparteien kommen. Das sei allemal „mehr recht als billig“. Bettina Röder, epd