piwik no script img

Ruf der Südwestcoast

Der Relaunch des Jahres: „Schwoba-Rock“ mit Schwoißfuaß! Heute handeln die Texte von „de Kendr“, „dr Zukunft“ und „dr Welt“  ■ Von Basil Wegener

Heute werden auf der Alb droben eher Dinge wie der ökologische Landbau in der EU reflektiert. Auch haben die Sozis mittlerweile sogar in Stuttgart an verantwortlicher Stelle gesessen. Und sind wieder von dort verschwunden, ohne nachhaltiges Unheil angerichtet zu haben. Doch selbst Stuttgart lag damals vielleicht sehr weit weg. Und überhaupt war die Welt im Ländle nicht gerade von Mehrseitigkeit und Komplexität durchwoben.

Die Schülerzeitung hieß Periskop, und es war eine hehre Tat, aus dem Untergrund kritische Ahnungen gegenüber der Institution Schule zu hegen. Es gab Märsche zu Menschenketten gegen Mittelstreckenbomber. Und das den Gemeinderäten abgetrotzte Jugendzentrum. Und es gab auch „Schwoißfuaß“. In jeder Plattensammlung eigentlich, und niemand fragte danach, wo „Schwoißfuaß“ denn hergekommen war. Heute weiß man: aus Bad Schussenried.

Alex Köberlein reihte seltsame gutturale Laute aneinander, die zu jener Zeit noch völlig normal anmuteten und die zusammengefügt „Oberschwäbisch“ heißen. Die Lebensnerven trafen sich im „Juze Donauriad“. Das Lied erzählte die Geschichte eines exemplarischen kleinen Universums aus „Jazzgymnaschdig“ und „Bloskabell“. „Dr Bürgermoischdr machd sich auf da Weeg, en da Adler zom Saufa.“ Die Jungen indessen, respektive „de Jonge“, sie besetzen ein Haus, „wo koinr abkassiert“.

Wofür Köberleins Anteilnahme schon sehr in Ordnung ging, denn auch seine Band kassierte nie so richtig ab, vielmehr schlug sie hartnäckig allerlei Angebote aus, die den Krautrockern wohl zu einem bundesweit verbreitbaren Image verholfen hätten. Doch bapesken Ruhm wollte man nicht. Die Fäuste von gleichfalls selbstbestimmten Aktivisten wie „Ton Steine Scherben“ und „Schröder Roadshow“ waren schon wieder am Sinken, da stiefelte „Schwoißfuaß“ unverdrossen von Fez zu Fez zwischen Freiburg und Heilbronn. Bloß „dr Hannes, der von dr letzschden Bank, dr gohd jetz nach Auschdralien, verkaufd sein ganza Gruschd“.

Doch gab es den nur im Lied „Haß auf d'Schual“, und in Wirklichkeit währte jener allerhöchstens bis zum Abi. Gegen einen unikompatiblen Schnitt hatte man überhaupt nichts mehr einzuwenden, die „Bebbr von Status Quo“ waren längst abgerubbelt, und den „Arsch“, der „oinr“ immer zu sein habe und dessen Recht auf Anderssein „Schwoißfuaß“ besang, wollte man auch nicht unbedingt abgeben. Schließlich hatten die derben Schwabenrocker 1986 ein Einsehen. Es hatte sich ausgefüßelt.

Im Regionalexpreß von Tübingen nach Stuttgart fragt ein netter Mann um die vierzig, was es denn mit der CD in meiner Hand auf sich habe. Er verspricht dann gleich in freudiger Überraschtheit, ebenso zum Kauf zu schreiten. Was für eines aber das „Ratta Karma“ (schwäb. f. Rattenkarma) sein könnte, das laut CD-Titel seine musikalische Veräußerung gefunden haben soll, können wir bis zum Zielbahnhof beide nicht herausfinden.

Das Werk enthält übrigens viele neue Lieder, und „Schwoißfuaß“ pflegen, nach zehn Jahren fast in Originalbesetzung, auch wieder ihre Unabhängigkeit. Wenn man bei Alex Köberlein anruft, schreit im Hintergrund aber ein Baby, und die ältere Tochter Köberleins (15) hört nach eigener Aussage mittlerweile „gerne Doors“, der Papa aber höchstens mal „klassische Musik im Autoradio“.

Das frische Material zwischen schnoddrigem Rock und deutschem Südwestcoast-Sound ist wunderschön arrangiert, gar nicht mehr so wie früher, und es handelt von „de Kendr“, „dr Zukunft“ und „dr Welt“. Somit hat „Schwoißfuaß“ ihren veritablen (Regional-)Mythos zwar leichtfertig in ernst gewandete Ästhetik aufgelöst. Wenn Köberlein aber verspricht, die Füße nach begrenztem Konzertrummel wieder in Unschuld zu waschen, so darf ihm das geglaubt werden.

Auch wenn diese Versicherung nicht unbedingt von der Angst vor möglicher Penetranz zeugt. Vielmehr ist sie auf das differenzierte Anforderungsprofil zurückzuführen, dem Independentkünstler von dieser Welt zu entsprechen haben. Es müsse nach so einer selbstgemachten Wiederkehr nämlich erst einmal sehr viel Zeit für Büroarbeit eingeplant werden, ahnt Köberlein.

Schwoißfuaß, die CD: „Ratta Karma“ (Schwoißfuaß Label).

Schwoißfuaß, die Tour: 5. Juli: Tübingen, 6. Juli: Ulm, 13. Juli: Konstanz, 14. Juli: Heilbronn, 19. Juli: Karlsruhe, 20. Juli: Esslingen, 30. August: Nattheim, 31. August: Trochtelfingen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen