: Menschen tanzen auf den Wiesen
Lockenpracht aus Plastik, Plüsch und Leder: „Wigstock – The Movie“, eine Dokumentation von Barry Shils zum tuntigsten Straßenfest, das der New Yorker Union Square kennt ■ Von Harald Fricke
An einer Karriere wie der von RuPaul kann man die Höhen und Tiefen der letzten homobewegten Jahre recht gut ablesen. Demnach ging es rasant vom Mainstream zurück in den Trash à la Divine: Nachdem Diana Ross das Supermodel zuletzt im Videoclip zu „I will survive“ fast vom bonbonartigen Gay-Parade-Wagen geschubst hatte, muß die blonde Diva nun mit Henry Rollins im Duett singen. Der Söldnerkörper trifft auf die Drag-Queen, mit Liebe oder Unity hat das vermutlich nicht mehr viel zu tun.
Für Barry Shils' Dokumentation „Wigstock“ steht der schwarze Zwei-Meter-Transvestit allerdings noch ganz oben auf der Glamourliste des New Yorker Schwulenlebens. In langen Passagen läßt er sich über sein persönliches Crossover von Tunte, Afro und Amerikaner aus und begrüßt augenzwinkernd die Freiheiten, die ihm seine Community läßt: „Es ist in, schwul zu sein in den 90ern. Wer hätte das gedacht! Ein neuer Tag.“ Dazu trällert das blonde Biest die eine oder andere Disco-Melodie, während die Kamera sich immer wieder an seinen silbernen Pantoletten bis zum Schritt herauffilmt.
Daß es bei RuPaul dennoch nur so kurze Zeit für eine Karriere als Ikone gereicht hat, liegt nicht am Mißtrauen der Szene gegenüber Nutznießern des alternativen Lifestyle. Im Gegenteil: Miss Lady Kier von Deee-Lite erzählt in einem Blümchenloft, daß die Karriere ihrer Technopop-Band ohne die Unterstützung aus den Gay- Clubs niemals funktioniert hätte. Erst die Drags, so Miss Kier, hätten ihr beigebracht, was Glam sei und wie Camp funktioniert: Immer über den eigenen Durchschnittsgeschmack lachen.
Während aber im East Village auch weiterhin am Christopher Street Day oder auf dem „Wigstock“-Festival zu House-Musik getanzt wird, ist aus ein paar Männern in Fummeln, die in der „Rocky Horror Picture Show“ noch „sweet transvestites“ hießen, ein sozial verträgliches Genre geworden. An „Priscilla“ etwa haben die Menschen gelernt, daß Solidarität unter Tunten auch in der kleinsten australischen Gemeinde nützt; „To Wong Foo“ zeigte, wie hart Kerle selbst in Frauenkleidern zuschlagen können; und „Birdcage“ ist dann am lustigsten, wenn man sich im Käfig voller Narren wieder wie Normalos anzieht.
Kino-Aidssterben und Popwirklichkeit
Eineinhalb Jahre nach seiner Premiere auf der Berlinale 1995 kommt „Wigstock: Der Film“ doch etwas spät. Noch benommen vom großen Leid in „Philadelphia“ sah man damals Schwule, Popstars, Drag-Queens und New-York- Touristen an einem Pier nahe der Christopher Street feiern. Trotz Aids wirkt die seit 1985 veranstaltete „Wigstock“-Party auch im Film wie eine Mischung aus Hafenbar und Sesamstraße: Die Menschen tanzen auf den Wiesen, freuen sich über quirlige Karaoke- Gigs von Mistress Formika oder Lypsinkas klassischer Judy-Garland-Playback-Show und gedenken all derer, die nicht mehr mit dabei sind. Dann steigen für die vielen Toten Papperücken an Luftballons zum Himmel auf.
Mitunter wird neben dem groß angelegten Kitsch gerade in solchen Szenen die Kluft zwischen Kinosterben und Popwirklichkeit sichtbar. Während „Philadelphia“ zum Höhepunkt Tom Hanks an Schläuche gefesselt bei Opernplatten weinen zeigt, sieht man in „Wigstock“ den aidskranken Wendy West über die Bühne toben. Er ist erst vor zwei Tagen aus der Klinik entlassen worden, atmet nurmehr in kurzen Stößen und kann kaum noch sprechen. Trotzdem tobt der Transsexuelle vor dreitausend Menschen Open air, mit einer Kanüle im Arm, das Infusionsgerät hinter sich her schleppend.
Der Film von Barry Shils sucht zwar keine Gegensätze, aber dennoch funktioniert zu Wigstock alles wunderbar übermenschlich und fremd wie im Lande Oz. Acht Stunden herrscht ein freundliches Durcheinander aus Flausch, Flitter und Perücken. Rentner werden zu den Ereignissen befragt und finden das Fest ganz hübsch; sogar stockheterosexuelle Bauarbeiter würden sich in die angeschweißten Kurven von Alexis Arquette oder Jackie Beat verlieben, die das Filmteam durchs Geschehen führen. Plötzlich werden die vier merkwürdig still, alle kichern sich ein bißchen verlegen an, und die Kamera wechselt das Thema.
Buntlackierte Freiheitsstatuen
Selten gibt es Probleme mit der Gleichgeschlechtlichkeit. Lediglich der Bürgermeister winkt mürrisch ab, als Lady Bunny, die Initiatorin von Wigstock, ihn darum bittet, der Freiheitsstatue zu Ehren des Festivals eine überdimensionale Perücke aufsetzen zu dürfen. Dabei sehen die meisten Akteure unter ihren buntlackierten Polyester-Haaren dem Symbol sehr ähnlich. Ein Stück weit scheint die Idee von Love, Peace & Unity innerhalb der schwulen Wahlfamilie ohnehin dem amerikanischen Unabhängigkeitstraum zu entsprechen: ein Tag im Leben der queer nation.
Shils, der zuvor Splatter produziert und Road-Movies gedreht hat, filmt das Ganze nicht viel anders als seine bekannten Vorgänger vom Love-and-Peace-Festival 1969. Er beschränkt sich auf wenige Kameraeinstellungen und Abläufe, Schminkzeremonien oder Tanzübungen bei den Vorbereitungen zum Auftritt etwa, Kostümanprobe, Perückenwahl. An Lady Bunny interessiert ihn das Organisationstalent, also wird sie stets mit dem Handy gezeigt; bei Lipsynka ist es das drahtige Kampfschwimmerkreuz. Dazwischen erzählen die Protagonisten, warum sie als Männer lieber Frauen werden. Ein Wigstock- Show-Dancer fühlt sich dadurch „der chauvinistischen Männerwelt überlegen“ – auch eine Art, mit den Rollen zu spielen.
„Sag mir, wenn du's kannst: Was macht einen Mann zum Mann?“ singt eine gewisse Flloyd begeistert ins Ungewisse, doch auf der Bühne enden die Performances zumeist im Strip. Die Perücke fällt fast immer, zuletzt kommt unter hysterischen Pfiffen des Publikums auch das doch ganz banale Geschlecht unter all den Puscheln zum Vorschein. Es bleibt bloß ein Zeichen unter vielen. Der Rest ist ein Lob ans Geschminkte.
„Wigstock: Der Film“. Von Barry Shils. Prodzent: Dean Silver. Mit Alexis Arquette, Jackie Beat, RuPaul, Tabboo, Girlina, The Lady Bunny, Joey Arias, Lypsinka und viele andere mehr. USA 1995; 80 Min.
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