Gegoldherzt und gepuderfingert

„My my, hey hey, Rock 'n' Roll is here to stay“: Neil Young mußte mit seiner auch schon mal dickeren Leibband Crazy Horse in der Berliner Waldbühne bei winterlichen Temperaturen den „Hurricane“ spielen – und es ward Wärme  ■ Von Karl Wegmann

Kalt war's, saukalt, und die Grammy-Abräumerin Alanis Morissette, die als Anheizerin engagiert war, erledigte ihre Job mäßig bis gar nicht. Aber wegen ihr waren sowieso nur eine Handvoll minderjähriger MTV-Viva-Junkies gekommen, alle anderen warteten bibbernd auf „Forever Young“ – Rock's Great Survivor“ (The Guardian) und seine liebste und wohl auch beste Begleitband Crazy Horse.

Im letzten Jahr hatte Neil Young schon einmal die Waldbühne gefüllt und den eifrig mit ihm herumjammenden Jungs von Pearl Jam und dem Publikum mal eben gezeigt, wo der Grunge herkommt. Dieses Jahr absolviert der 50jährige Meister eine ausgedehnte Tour und beschäftigt als Vorgruppen so illustre Legenden wie ZZ Top oder Bob Dylan (am 13.7. in Hamburg – „2 Legenden, ein Preis“, wirbt das Plakat). Noch Fragen?

Nach der kurzen Umbaupause ist es immer noch nur wenige Grade über Null, doch Mr. Young braucht nur drei Stücke, um das reichlich erschienene Publikum entschieden vom Zähneklappern abzulenken: „Hey Hey, My My“, „Powderfinger“, „Pocahontas“. Es wird wärmer. War da hinten nicht ein Sonnenstrahl? Dann kommt „Big Time“ vom neuen Album „Broken Arrow“ und mit den Zeilen „I'm still living the dream we had / for me it's not over“ weiß auch der letzte, worum es hier geht: Neil zieht mal wieder sein Ding durch. Zeitloser Rock der gehobenen Art. Den akustischen Teil beginnt er natürlich mit „The Needle and the Damage Done“. Die ersten Wunderkerzen werden abgefackelt, kanadische Fahnen nebst Peace-Flaggen geschwenkt. Der Umschwärmte bedankt sich artig, „It's a nice place to play“, sagt er, und jetzt ist es richtig warm. Bei „Heart of Gold“ singen alle mit, bei „Sugar Mountain“ klatschen sie mit. Nett, doch irgendwie unpassend bei einem wie ihm. Die Arbeiter von Crazy Horse sind in bester Spiellaune. Poncho Sampedro (er war auch schon mal dicker) grinst die ganze Zeit. Billy Talbot sieht aus wie der nette Grundschullehrer, er beackert seinen Baß zwar nicht virtuos, aber solide, und Ralph Molina hat eine Freibeuterflagge an seiner Schießbude gehißt.

Die Legende vom angeschossenen Büffel

Die Bühnendekoration ist schlicht: Ein halbes Dutzend Kerzenständer, ein Räucherstäbchenhalter, ein Spielzeugauto auf der Box, und auch das Harmonium kann man wohl dazu zählen, denn es kommt an diesem Abend nicht zum Einsatz.

Dann wird's wieder elektrisch. „The Loner“ ist dran, doch alles steuert auf den ersten Höhepunkt hin: „Cortez the Killer“ kommt gewaltig – aber nicht gewaltig genug. Es geht hier schließlich um die Ausrottung der Azteken, da darf man schon ein bißchen mehr Zorn verlangen und nicht diese unbeschwerte Rock-'n'-Roll-Nummer. Das hat im letzten Jahr noch ganz anders geklungen, da ist der „Dreamer of Pictures“ richtig ausgerastet, entfachte ein Feedback- Gewitter, daß einem angst und bange werden konnte ... Sorry, Crazy Horse, aber bei „Cortez“ sind doch wohl Pearl Jam die besseren Unterstützer.

Zwischendurch die kleine Folkperle „Music Arcade“, und dann bricht endlich die Hölle los. Strobolichter blitzen, donnernder Lärm rollt durchs Amphitheater, und die ersten spitzen Schreie des Erkennens sind zu hören. „Like a Hurricane“ bringen sie grandios! Rauh, wild, laut und böse. Zum Schluß liegt Talbot auf den Knien und malträtiert den Baß mit den Fäusten, während Young wie ein angeschossener Büffel herumstapft und sein Instrument so lange foltert, bis sämtliche Saiten gerissen sind. Bravo! Jetzt ist es heiß in der Waldbühne, verdammt heiß! Und auch schon Schluß.

Zur ersten Zugabe lassen sie sich nicht lange bitten, doch „Rockin' in the Free World“ kommt etwas zahm. Es werden zwar wie erwartet die Fäuste gereckt, doch allen steckt noch der „Hurricane“ in den Knochen. Als zweite Zugabe bringen sie „Prisoners of Rock 'n' Roll“, und das ist klasse, weil lange nicht gehört und wegen dem Anfang „We never listen to the record company man“ und später dann „We don't want to be good / take orders from record company clowns“. Neil Young bleibt Neil Young.

Als sich die Waldbühne allmählich leert, wird es wieder kalt – aber nicht so kalt wie vor dem Konzert.

12.7. München, 13.7. Hamburg, 14.7. Frankfurt, 16.7. Wien