Nur drei Monate Zeit für eine ganze Gedenkstätte

■ Der Düsseldorfer Künstler Thomas Schütte gestaltete das Dokumentenhaus in einen Raum stillen Erinnerns um

Seit über zehn Jahren wünschen sich verschiedene Gruppen einen ruhigen Gedenkraum im ehemaligen KZ Neuengamme. Die Verlegung der historischen Ausstellung machte jetzt das Dokumentenhaus dafür frei. Der Düsseldorfer Künstler Thomas Schütte erhielt von der Kulturbehörde den Auftrag zur Umwandlung der 1981 fertiggestellten Architektur als Projekt von „Kunst im öffentlichen Raum“. Und zwar im Februar dieses Jahres.

„Eigentlich geht das alles gar nicht. In drei Monaten kann man wohl mal ein Briefchen schreiben, aber eine ganze Gedenkstätte machen...“, sagt Schütte bei einer Vorbesichtigung noch zwischen Handwerkern. Das Gebäude wurde in Zusammenarbeit mit Gerhard Scharf als einem der damaligen Architekten weitestgehend auf seine plastische Grundstruktur entkernt. Roher Beton und ein mehrschichtiges, lasiertes Rot für die Wände schaffen nun einen je nach Lichteinfall unterschiedlich leuchtenden Zentralraum, der schon für sich konzentrierend wirkt. Feuer oder Blut sind mögliche, aber nicht zwingende Assoziationen.

An den Wänden der Galerie hängen Stoffahnen mit den Namen der Opfer. Da nicht alle Namen an den Wänden Platz fanden und zudem viele Opfer von der erst seit wenigen Jahren angelaufenen Forschung noch nicht erfaßt sind, liegen als Erinnerung an die übrigen in einem Extraraum viele leere Rollen.

Nach 50 Jahren muß auch die Art des eigenen Erinnerns Thema sein. Schütte ließ deshalb als wortlosen Kommentar in die Mitte des Raumes zwei Modelle der KZ-Gesamtanlage stellen: die nach 1945 von den durch die Engländer gefangengesetzten Tätern penibel gebastelte Übersicht und ein modernes Architekturmodell des Zustandes von heute mit seinen zwei Justizvollzugsanstalten.

Die die Vernichtung strukturierende Bürokratie ist in einem Seitenraum mit den original erhaltenen Totenbüchern des KZs in Pultvitrinen dokumentiert. Von diesen geht der Blick durch die Fenster auf den umgebenden Rasen, auf den einst die Asche der Toten gestreut wurde. Hier hat Schütte einige Scheinzypressen planzen lassen, um dem Ort etwas mehr Friedhofscharakter zu geben.

Warum hat der mehrmalige documenta-Teilnehmer, der zuletzt vor einem Jahr in der Hamburger Kunsthalle eine große Ausstellung hatte, diesen „unmöglichen“ Auftrag angenommen? „Man macht als Künstler ja nur, was nicht geht, alles andere interessiert nicht. Ich selbst bin aus den fünfziger Jahren, und da hat man die Pflicht, sein Bestes zu tun im Umgang mit der Geschichte. Und ich hatte die Möglichkeit, etwas anderes zu realisieren als ein Einschüchterungsdenkmal wie Buchenwald oder gar ein ,Führergrabmal', wie in Berlin geplant“, heißt die Antwort, und: „Jetzt ist es wichtig, eine schnelle Entscheidung in der Schwebe zu halten und abzuwarten, wo die Kunst ist. Jedenfalls ist es besser als vorher. Vielleicht sind die Politiker ja sauer, daß ihr Versagen dokumentiert wird.“

Jenseits von Pflichtübungen ist der Umgang mit der Erinnerung an ein Grauen, das so viele typisch deutsche Züge trägt, nach wie vor keine leichte Aufgabe. Geradezu eine Sühnearbeit leistete der Grafiker Arne Petersen, der Tausende von Namen auf die Fahnen brachte. Daß alle diese Buchstabenkombinationen ausgelöschte Menschenleben bedeuten, mußte er im Interesse der Arbeit immer wieder schmerzhaft verdrängen.

Da macht es sich ein wachsender Teil der Bevölkerung leichter: „Statt teuer umgestalten: Bombe rein, dann ist der Mist weg“, war ein Passanten-Kommentar in der Umbauphase. Hajo Schiff