Trügerischer Wohlklang

■ Gelungenes Gedächtniskonzert vom „Ensemble Philharmonie“

Theresienstadt hieß das Schicksal von drei der vier Komponisten, deren Werke in einem Konzert zum 50. Jahrestag des Kriegsendes am Mittwoch im Studio 10 des NDR erklangen. Doch vom Grauen, von der Auslöschung ist gerade in ihren Werken wenig zu hören. Viktor Ullmann komponierte 1943 in dem Vorzeige-KZ sein 3. Streichquartett. Spätromantisch klingt diese Musik, schwärmerisch im Wechsel von zart fließenden Melodien und auffahrendem Unisono. Die Mitglieder des Ensemble Philharmonie spielten beherrscht schwelgend und hatten nur mit den leisen, vibratolosen Passagen im stillen Largo etwas Not.

Bereits 1929 gelang Pavel Haas ein bemerkenswertes Bläserquintett. Vier spielerische Sätze mit kraftvollen Rhythmen und Farbkontrasten; ihre großen, lichten Kantilenen senken sich nur selten melancholisch. Von der Flöte bis zum Horn durchwandert im zweiten Satz typisch die Melodie das Ensemble. Nicht nur hier zeigte sich deutlich, was zuvor orientalisch schien: die Nähe zur jiddischen Volksmusik, zum Gestus des Klezmer. Die fünf Bläser wirkten bei aller Spielfreude gelegentlich etwas steif – nicht ganz so ausgelassen, nicht ganz so plötzlich betrübt wie möglich.

In Rudolf Karels Nonett von 1945 sind die Streicher und Bläser deutlich geschieden. Mit lyrischen Linien und tänzerischen Episoden zaubert der Dvorák-Schüler bukolische Stimmungen. Doch er forciert Lebendigkeit im geschwinden Antwortspiel der Gruppen, erstrebt mit Abbrüchen und Einschüben eine Spannung, die von den Ideen nicht gehalten wird. Überinstrumentiert und unklar im großen Bogen – Musik zwischen Kaffeehaus und böhmischer Hochzeit.

Arnold Schönberg konnte sich vor der Judenverfolgung rechtzeitig nach Kalifornien retten. Seine 1. Kammersinfonie entstand in einer Zeit, als die Werte des 19. Jahrhunderts – auch die musikalischen – sich bereits zu zersetzen begannen. Kurze Episoden romantischen Glücks kippen plötzlich, werden fortgerissen in haltloser Beschleunigung oder von einem neuen bösen Einfall gebrochen, um wieder in trügerischen Wohlklang zu münden. Diese nervöse Musik entspannt sich nie. Die alte Ordnung ist hier bereits gestört; und doch zeigt Schönberg viel Humor und Lust am Klang. Manfred Trojahn dirigierte das frühe Meisterwerk farbenreich und zügig, gönnte weder sich noch allen anderen Ruhe – bis zum tristen Violinmotiv mit den nachwagnerischen Überraschungsakkorden und den atmenden Klängen des Largo. Vom Ensemble Philharmonie hätte er sich mehr rhythmische Akkuratesse wünschen können. Trotzdem: große Musik für ein kleines Orchester.

Hilmar Schulz