: Widerborstig wider Willen
taz-Serie: Rebellen & Querköpfe Folge 2: Sabine und Uwe Gauger, die Eltern des angeblichen Plattenlegers ■ Von Silke Mertins
„Auf Demos zu brüllen, das schaffe ich nicht, aber ich gehe inzwischen hin.“ Sich Sabine Gauger auf einer radikal-Kundgebung zwischen schwarzem Block und Roter Flora vorzustellen, ist gar nicht so einfach. Wie eine autonome Kampfkatze sieht die ordentlich frisierte 54jährige in ihrer gebügelten Bluse und der schicken Hose nicht gerade aus. Früher, ja früher hätte sich Demonstrieren nach ihrem Weltbild sowieso „nicht geziemt“. Denn „ich komme aus einem konservativen Geschäftshaushalt, und das hat lange ganz bös abgefärbt.“
Doch dann wurde ihr Sohn Ralf verhaftet. „Das war vor fünf Jahren, und ich wußte von Anfang an, daß er keine Platten auf die Gleise gelegt hat.“ Ralf und seinem Freund Knud A., beide aktiv in Hamburgs autonomer Szene, wurde vorgeworfen, in Pinneberg mit Steinplatten eine Zugentgleisung vorbereitet zu haben. Die Zeugen: vier LKA-Beamte. Die Anklage: Mordversuch.
„Zuerst war ich noch überzeugt, daß das alles ein Irrtum ist, der sich aufklären würde, denn mein Glaube an den Rechtsstaat war ungebrochen.“ 58 Prozeßtage lang konnten Sabine und Uwe Gauger, die Eltern des angeblichen „Plattenlegers“ Ralf, sich eines besseren belehren lassen. „Für mich war klar, die beiden waren es nicht und konnten es nicht gewesen sein. Die Frage war nun: Was steckt dahinter?“ grübelte Ralfs Vater Uwe Gauger. Die Glaubwürdigkeit von vier Polizeizeugen zu erschüttern, „war nicht ganz einfach“.
Die beiden „Plattenleger“ wurden zwar freigesprochen, doch bis heute sind die näheren Umstände, die Gründe für das unglaubliche Mauern und die Chorgesänge der Hamburger Polizei, der die Verwechslung längst bekannt war, nicht aufgeklärt. „Ich werde keine Ruhe geben, bis sich in dieser Sache etwas tut“, wird der an sich ruhige Zeitgenosse Uwe Gauger, von Beruf Feuerwehrmann, nun laut. „Diese Lügen kann man doch nicht so stehen lassen!“
Mindestens 100 Briefe hat er inzwischen auf Adressaten aus Politik und Innerer Sicherheit losgelassen. Er will erreichen, daß der schleswig-holsteinische Innenausschuß – der Prozeß fand in Itzehoe statt – sich erneut mit dem Thema Plattenleger befaßt. Nerven sägen lohnt sich, meint er, „weil man Antworten bekommt, die einen wirklich stutzig machen.“ Der Innenminister zum Beispiel schreibt, „er wolle nicht länger mit mir korrespondieren“. Eine Provokation, findet Gauger. „Ich habe mir gesagt, das lasse ich mir nicht gefallen, ich wende mich an den Eingabenausschuß. Und siehe da, es ging auf einmal doch.“
Sabine Gauger reist meist mit Gummibärchen und Schokolade zu den Polizeiprozessen an. Nicht für die Polizisten ist das Naschwerk, sondern für die Nebenklage, autonome Polizeiopfer wie Lutz Priebe zum Beispiel. „Nach dem, was ich mit meinem Sohn erlebt habe, weiß ich, wie wichtig es sein kann, daß einfach jemand im Prozeß dabei ist.“
Damals, als Ralf und Knud in Itzehoer U-Haft einsaßen und die Eltern mit den Politniks der Roten Flo- ra vor den Gefängnismauern eine Soli-Demo veranstalteten, hatte Sabine Gauger zum ersten Mal ein Megaphon in der Hand. Und sprach zu den Gefangenen. Die „jungen Leute“ aus der Hausbesetzerszene fand sie klasse: „Wie die zusammenhalten!“ Natürlich durfte auch bei den Itzehoer Prozeßtagen der Gaugersche Fressalien-Korb für die solidarischen Szene-Freunde nie fehlen. „Die hatten ja auch immer Hunger.“ Und schließlich haben die „jungen Leute“ doch auch gesammelt für die fünf Rechtsanwälte, die den Polizeizeugen und der Staatsanwaltschaft das Leben schwer machten.
Interesse am vor knapp zwei Jahren aufflammenden Polizeiskandal verstand sich von selbst: Kaum eine Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) Hamburger Polizei fand seitdem ohne die Gaugers statt. Ihr Vertrauen in die Rechtmäßigkeit und Zuverlässigkeit polizeilichen Handelns gehört längst der Vergangenheit an. „Wenn ich früher einen Polizisten sah, habe ich gedacht, der hilft notfalls“, erinnert sich Sabine Gauger, „heute sehe ich oft rot statt grün.“
Fast ausschließlich Polizisten, Feuerwehrleute und andere Beamte der Innenbehörde leben dort, wo die Gaugers zuhause sind. Unter den „jungen Leuten“, etwa in der Nähe der Hafenstraße oder der Flo-ra, würden sie sich heute entschieden wohler fühlen. „Ich gehe nach allem, was wir erlebt haben, mit wacheren Augen durchs Leben“, sagt Uwe Gauger. Die Zeiten, wo er Demos, Polit-Action und Vorwürfe gegen die Polizei nur im Fernsehen verfolgte, sind vorbei. Wut und Unverständnis über das, was mit dem Sohn passierte, sind noch lange nicht verflogen. „Da heißt es dann, das sind nur einige schwarze Schafe, die gibt es überall, auch bei der Polizei“, sagt der Feuerwehrmann. „Aber allmählich sind die zu einer Herde angewachsen.“
Und damit Köpfe rollen, nimmt er auch selbst kein Blatt vor den Mund. Zu seinem Chef wurde er zitiert, als „Uwe Gauger, Feuerwehrbeamter“ in einem Interview mit dem Stadtteilblatt HH 19 vor fünf Jahren den Rücktritt seines Dienstherrn, des damaligen Innensenators Werner Hackmann, forderte. „Ich habe meinem Vorgesetzten dann meine Version vorgetragen, und die Sache war erledigt.“
Erledigt ist der „Plattenleger-Prozeß“ für die Eltern indes noch nicht. „Das können wir gar nicht.“ Die Hoffnung, daß die polizeiliche Mauer des Schweigens doch noch bröckeln könnte, hat Sabine Gauger trotz allem nicht ganz aufgegeben: „Vielleicht bin ich naiv.“
Nächste Folge: Der Querkopf von Brokdorf
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