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■ ÖkolumneReise-Riese Von Thomas Worm

Wirtschaftsgigant und doch nur politischer Zwerg: der Tourismus. Die meisten haben sich abgefunden mit dem Klischee von der Dampfwalze käsiger Bierbäuche und folklorehungriger KnipserInnen. Dabei übersehen sie die gesellschaftliche Kraft, die in dieser Boombranche schlummert, verspielen die Chance auf deren sozialökologische Gestaltung.

Fast unbemerkt ist der Reisesektor zum größten Jobanbieter der Erde aufgerückt. Er expandiert doppelt so schnell wie die Weltwirtschaft. In Deutschland bringt die Tourismusindustrie mit fünf Prozent Nettowertschöpfung ebensoviel wirtschaftliches Gewicht auf die Waage wie die gehätschelte Autoindustrie – bei dreimal soviel Arbeitsplätzen. Doch das politische Selbstbewußtsein der touristischen Dienstleister steht im krassen Mißverhältnis zu ihrer ökonomischen Potenz. Das ist gut so. Jedenfalls solange Investoren ihren Einfluß dazu nutzen, Bettenburgen ins Grüne zu klotzen oder für Marinas unberührte Schilfgürtel wegzusensen. Der sanfte Tourismus ist weithin ein Schlagwort geblieben, ob auf Sylt oder auf Gomera. Heerscharen sonnenhungriger Städter sind nach wie vor die saisonal vorrückende Besatzungsmacht der Natur.

Dabei sehnen sich immer mehr Urlauber nach dem, was sie selber als Masse zu zerstören drohen. Der Trend zu naturnahen Reisezielen verstärkt sich, meldet der „Reisemonitor“ von 25 europäischen Instituten. Jeder vierte Reisende, so BUND-Schätzungen, ist ökologisch interessiert. Und die Hamburger Forschungsgemeinschaft Urlaub & Reise ermittelte: Fast 36 Prozent der Erwachsenen nennen das Naturerlebnis als „besonders wichtiges“ Urlaubsmotiv, zwei Prozent mehr als im Jahr zuvor. Saubere Gewässer und erlebbarer Artenreichtum avancieren zum wertvollen Kapital. Eine unversehrte Landschaft ist das Schatzkästlein, von dem der Tourismus künftig zehren wird.

Intakte Natur ist ein touristischer „Standortvorteil“. Werden also die Großveranstalter ihre Stimme erheben? Bonner TUI-Lobbyisten als Retter der chemikalisierten Nordsee? Wenn überhaupt, dann eher im Flüsterton. Weiterhin dominiert im Reisebusiness eine simple, auf Verschleiß angelegte Philosophie: Die Karawane zieht weiter. Gestern Kanaren, heute Türkei, morgen Südafrika. Zurück bleiben Betonskelette und bleiche Riffe.

Auch wenn Erholungskonzerne in ihren Anlagen Umweltbelastung light praktizieren, von der Energiesparlampe bis zum Müllrecycling – die meisten Anstrengungen enden da, wo die Kosten beginnen. Überdies plagt ein Ökodilemma die wenigen Willigen der Branche: Egal, wie „soft“ der Fremdenverkehr aussieht, er setzt klimawirksame Mobilität voraus und erfordert den Verbrauch von freien Flächen und Wasser.

Es kann deshalb nur darum gehen, die zerstörerische Wucht des „Neckermannes in uns“ zu kanalisieren, zu begrenzen. Verglaste Spaßreservate wie die nachgemachten Tropen der Ferienparks sind dabei womöglich nützlich. Denn Herdentrieb und Bequemlichkeit hindern ihre Besucher am großflächigen Ausschwärmen. Allerdings auch mit Umweltverträglichkeitsprüfung nur eine Second-best-Lösung.

Vielversprechender sind lokale oder regionale Interessengemeinschaften aus Politik und Gewerbe, Hotellerie und Vereinen, die sich mit dem natürlichen Charme ihrer Gegend identifizieren. Der norddeutsche Zweckverband Schaalsee-Landschaft, zu dem neben der Kommune auch der WWF gehört, ist einer der ersten mit Umweltzielen. Gelingt es, außer Gastwirten, Fischern und Biobauern auch lokale ArchitektInnen oder Softwareanbieter vom nachhaltigen Tourismus profitieren zu lassen, dürften überall vor Ort starke Lobbys entstehen. Vorbild auch für Großveranstalter, um ihre Nachfragemacht spielen zu lassen und Umweltschutz auf allen Ebenen durchzusetzen. Jede gelungene Ferienreise ist eine verwirklichte Utopie im kleinen. Was wäre sie ohne große Natur?

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