Nächtliche Überfälle auf Campingplätze im Osten Deutschlands haben schon Tradition. In der Regel sind die Täter rechte Skinheads. Ihre Opfer: harmlose Camper. Ihr Revier: Mecklenburg- Vorpommern und Brandenburg. Behördenleiter reden nicht g

Nächtliche Überfälle auf Campingplätze im Osten Deutschlands haben schon Tradition. In der Regel sind die Täter rechte Skinheads. Ihre Opfer: harmlose Camper. Ihr Revier: Mecklenburg-

Vorpommern und Brandenburg. Behördenleiter reden nicht gerne über die rechten Freizeitschläger, auch jetzt heißt es in Schwerin wieder, für einen „politischen Hintergrund der Tat“ gebe es „keinerlei Anzeichen“. Auch gewalterprobte Sozialarbeiter wissen keinen Rat. Die Polizei immerhin scheint mit Überfällen auf Campingplätzen zu rechnen. Sie hat an manchen Orten einen „Bäderdienst der Polizei“ eingerichtet.

Komasaufen und Randale

Zuerst tauch-

ten drei von ihnen auf und wollten Radau machen. Die konnte Dieter Rapp wieder in den Wald zurückschicken. Doch wenige Minuten später rückten sie mit Verstärkung an. Gegen die johlenden Männer richteten Jugendleiter Rapp und seine Helfer jedenfalls wenig aus. Die Skins schlugen ihnen mit Eisenstangen ins Gesicht und zückten Baseballschläger. Blitzschnell verschwanden sie wieder. Das Ende eines Grillabends auf dem Campingplatz Leisten am Plauer See. Sechs Betreuer kamen mit Verletzungen ins Krankenhaus, 34 Kinder lagen ängstlich in den Zelten, 57 meist männliche Skins wurden vorläufig festgenommen. Der Überfall geschah in der Nacht zu Samstag.

Trotzdem geht der Urlaub für die meisten Jugendlichen aus Kleve am Rhein weiter. Ein paar Campingplätze nebenan und unter Polizeischutz. „Kids und Betreuer haben ein objektives Gefühl von Sicherheit“, sagt Pfarrer Rüdiger Stevens aus Kleve, der die Presse informiert. „Sie wollen als Gruppe das Erlebnis gemeinsam an Ort und Stelle verarbeiten.“ Eine Ärztin kümmere sich um die 13- bis 15jährigen.

Seit vier Jahren fahren Jugendliche aus Kleve an die Mecklenburger Seenplatte. Sie wollen Jugendliche aus dem Osten treffen. „Niemals haben wir gedacht, überfallen zu werden“, sagt Stevens und beeilt sich zu erklären, daß ihnen das gleiche auch beim Zelten auf einer Rheinwiese hätte passieren können. „Theoretisch.“ Bedenklich stimmt ihn, daß in jener Nacht auf dem Zeltplatz von Markgrafenheide bei Rostock ein 19jähriger von zwei Jugendlichen angegriffen und schwer verletzt wurde; und am Strand von Binz auf Rügen schlugen zehn Jugendliche sechs junge Rettungsschwimmer mit Zaunlatten zusammen. „Immer waren es Rechtsradikale. Das macht mir Angst, denn wir haben unsere Geschichte mit der rechten Gewalt und wissen, wohin die führen kann.“ Dem Pfarrer graut's. Auch wenn die schnelle Hilfe, die aus der Bevölkerung von Leisten kam, guttut.

„Skins überfallen Camper“ – immer wieder im Sommer prangt diese Schlagzeile an den Kiosken. Überwiegend am Wochenende, bei steigender Außentemperatur, schlagen sie zu. Ihre Reviere liegen vor allem in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, wo die meisten Seen sind. Behördenleiter reden nicht gerne über die rechten Freizeitschläger. So auch bei dem Fall vom Wochenende. Zunächst verlautbarte die Polizei, ein rechtsradikaler Hintergrund der Tat sei auszuschließen. Es habe sich um einen Streit unter Jugendlichen gehandelt. Kurz darauf mußte das Innenministerium zugeben, die Tat sei von Rechtsradikalen verübt worden. Im Wald beim Campingplatz waren eine Reichskriegsflagge, Neonazipamphlete und Hosengürtel mit Hakenkreuzen gefunden worden. Gegen sechs der Festgenommenen erließ das Amtsgericht Haftbefehle. Drei von ihnen kamen gegen Auflagen frei. Gerrit Schwarz, Oberstaatsanwalt in Schwerin, ordnet einen Teil der Festgenommenen der rechten Szene zu, ist aber nach wie vor der Meinung, für einen „politischen Hintergrund der Tat“ gebe es „keinerlei Anzeichen“.

Wie viele solcher Überfälle sich im letzten Sommer ereigneten, weiß Armin Schlender, Sprecher des Innenministers, nicht. Der Verfassungsschutzbericht 1995 notiert lediglich die Gesamtzahl „der Gewalttaten gegen Leib und Leben und schwere Sachbeschädigung“: 98mal schlugen Rechte zu, 20mal häufiger als 1994.

Die Polizei in Mecklenburg- Vorpommern scheint mit Überfällen auf Campingplätzen zu rechnen. Stolz schwingt in der Stimme, wenn Schlender auf den „Bäderdienst der Polizei“ zu sprechen kommt. An touristisch interessanten Orten werde am Wochenende die Polizeistreife verstärkt. Bereitschaftspolizisten und Beamte in der Ausbildung patrouillieren an Ostseestränden und Badestellen der Seen. „130 Mann sind vor Ort“, weiß Schlender – selten an der richtigen Stelle.

Campingplätze üben eine große Faszination auf Rechtsradikale aus, weiß ein Verfassungschützer, der ungenannt bleiben möchte. Billiger als Hotels seien sie. Skingruppen verabredeten sich häufig in deren Nähe zum „Komasaufen“. Getrunken wird soviel, wie reinpaßt. Und wem nach Randale zumute ist, der findet seine Opfer in nächster Nähe. „Die sitzen sozusagen vor der Zelttür“, sagt er. Er empfiehlt, Verdächtige sofort der Polizei zu melden.

Selbst gewalterprobte Sozialarbeiter wissen keinen Rat. In den Jugendzentren käme man noch an sie heran, sagt einer. Wenn sie sich aber zum Saufen verabredeten, sei alles zu spät. „Man kann Gewaltexzesse nicht verhindern und auch keine sozialarbeiterischen Konzepte dagegen entwickeln.“

Campingplatzbesucher sollten ein Handy mitnehmen und eine Flasche Tränengas. Annette Rogalla