: Eine Utopie, die am Alltag scheiterte
Im Streit trennen sich zwei Traumpartner, die am östlichen Stadtrand ein ökologisches Ost-West-Musterprojekt aufbauen wollten. Ostler fühlen sich von Kreuzberger Alternativprojekt vertrieben ■ Von Christoph Seils
Aus der Traum. Wehmütig blickt Hartmut Wolter auf den Kesselberg. Seine rund 40 ABM- Kräfte hat er aus dem Zwangsurlaub zurückgerufen, um ihnen eine gute und eine schlechte Nachricht zu verkünden. „Es geht weiter“, berichtet der Geschäftsführer des Vereins Initiativ- und Planungsgruppe Kesselberg (IPK) von den Verhandlungen mit dem Arbeitsamt. „Aber“, so fügt er mit brüchiger Stimme hinzu: „Wir brechen unsere Zelte hier oben ab.“
„Ökologisches Zentrum Kesselberg“ – so hieß seit sechs Jahren Hartmut Wolters Traum. Gleich nach der Wende hatte er, gerade zum Bürgermeister gewählt, für die Gemeinde Neu Zittau am östlichen Stadtrand von Berlin große Pläne geschmiedet. Einen „anderen Entwicklungsweg“ wollte er gehen. Aufschwung Ost in Neu Zittau sollte nicht Golfplatz, Abschreibungsobjekte oder Asphaltpiste heißen, sondern regenerative Energietechnik, dezentrale Wirtschaftskreisläufe und biologische Abwasseraufbereitung. Mit der gemeinnützigen GmbH Atlantis hatte Hartmut Wolter für das von der Treuhand gepachtete Gelände scheinbar einen idealen Partner gewonnen. Die auf Umwelttechnik spezialisierte Firma aus Kreuzberg stellte das Know-how, der Kesselberg den Zugang zu den prallgefüllten Brandenburger Fördertöpfen. Doch der Kampf um Fördergelder und ABM-Stellen hat die Partner entzweit.
Durch dichten Nadelwald führt der schmale Weg hinauf zum Öko- Zentrum. Auf DDR-Karten war das Gelände ein weißer Fleck. Dreifach durch Zäune gesichert, befand sich hier bis zum Sommer 1990 die Funkzentrale der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS. Von hier unterhielt die Stasi Kontakt zu ihren Agenten in aller Welt und überwachte den Funkverkehr auf der nördlichen Erdhalbkugel.
Bis heute sind zwischen den Bäumen die Reste der Stasi-Regentschaft zu erblicken. Im Waldboden verlaufen noch die betonierten Kabelkanäle. Hoch hinaus ragen neben dem halben Dutzend Gebäuden die verrosteten Antennenmasten, und auch die Reste der elektronischen Sicherungsanlagen lassen sich noch besichtigen. Dazwischen allerdings surren schon die Windräder, liefern Solaranlagen Strom und Wärme. Rechts vom Hauptweg sind vorbildliche ökologische Baustoffe ausgestellt. Doch Utopie und Wirklichkeit liegen nicht weit auseinander: Auf der anderen Seite rosten zwei Autowracks, türmen sich Schuttberge, Spanplatten und Eisenbahnschwellen.
Die Geschichte des geplatzten Traumes ist eine endlose, verwirrende Geschichte von Mißverständnissen, von Konkurrenz und Eifersüchteleien zwischen zwei ABM-Trägern aus Ost und West. Noch vor drei Jahren hatte Wolter die „Kreuzberger Alternativen“ gelobt, weil er sich sicher war, „von denen nicht über den Tisch gezogen zu werden“. Inzwischen glaubt Wolter zu wissen, daß es „die Falschen“ waren, „die wollen nur die Fördergelder abzocken“.
Wann und wie der Konflikt begann, daran kann sich heute niemand mehr so recht erinnern. Von nicht eingehaltenen Absprachen ist die Rede, von mangelnder Kooperationsbereitschaft, von angeblichen Mietschulden. Zugespitzt hat sich der Konflikt am Erwerb des riesigen Grundstücks, das beide Seiten kaufen wollten.
Atlantis fühlte sich schikaniert, weil Wolter „willkürlich“ die Zustimmung zum Umbau eines Hauses verweigert hatte. Dafür berichtet Wolter genüßlich, das Arbeitsamt habe Atlantis fünf ABM-Projekte gesperrt, weil der ABM-Profi mehrfach massiv gegen die Auflagen des Arbeitsförderungsgesetzes verstoßen und die Arbeitskräfte in anderen Projekten eingesetzt habe. Peter Wohlkönig, Geschäftsführer von Atlantis Brandenburg, vermutet in den ständigen Kontrollen des Arbeitsamtes dagegen eine konzertierte Aktion der Ossis. Im Verein Kesselberg sei die Einhaltung der Vorschriften nie überprüft worden. „Wir haben das AFG nur anders ausgelegt“, beteuert Wohlkönig.
Irgendwann im letzten Jahr hat Atlantis die Zahlung von Betriebskosten eingestellt. Hartmut Wolter habe auch nach schriftlicher Aufforderung keine ordnungsgemäße Betriebskostenabrechnungen vorlegen können, behauptet Wohlkönig. Daraufhin schritt Wolter zur Tat, brach in die Büroräume der Umweltfirma ein und nahm die Computer – wie er sagt – als Pfand. Die Auseinandersetzung eskalierte. Schließlich verklagte der Verein Kesselberg Atlantis auf Räumung der genutzten Häuser, Atlantis umgekehrt klagte gegen den Verein Kesselberg auf Rückzahlung von 30.000 Mark zuviel bezahlter Betriebskosten.
Mitte Juni trafen sich beide Parteien vor dem Amtsgericht Fürstenwalde. Auf ein Urteil in Sachen Räumungsklage verzichtete der Richter, denn inzwischen kehrten sich die Eigentumsverhältnisse in ihr Gegenteil. Seit dem 1. Juli 1996 nämlich ist Atlantis Berlin Eigentümerin des rund 50 Hektar großen Geländes.
Die Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG) hat Atlantis im Kaufvertrag zwar zur Auflage gemacht, den Verein Kesselberg als Mieter zu akzeptieren. Doch dazu kommt es nicht. Grund: „zu hohe“ Mietforderungen seitens Atlantis. Die Mietforderung wertet Hartmut Wolter als Versuch, den Verein von dem Gelände zu vertreiben. „Die wollen aus dem Kesselberg einen Gewerbepark machen“, so der Vorwurf, „da können sie uns nicht gebrauchen.“
Doch Atlantis-Vertreter Wohlkönig weist die Vorwürfe zurück. Die Mietpreise, die Wolter in seinem Nutzungskonzept gegenüber der TLG angegeben habe, lägen nur knapp unter denen von Atlantis.
Längst ist Hartmut Wolter nicht mehr Bürgermeister von Neu Zittau. Im Dezember 1993 wählten die Bewohner doch jemanden, der ihnen Investoren und das große Geld versprach. (Daß sich der Berater des neuen Bürgermeisters inzwischen als Hochstapler und Immobilienhai entpuppte, ist nur eine kleine ironische Geschichte am Rande.) Aber Hartmut Wolter gibt nicht auf, versucht von seinem Traum zu retten, was noch zu retten ist. Sein Wohnzimmer wurde zum Büro umfunktioniert, denn auf dem Kesselberg hat er Hausverbot. Auch der Verein Kesselberg hatte sich bei der TLG als Käufer beworben – freilich vergeblich. Wolter wittert Betrug und neue Seilschaften zwischen den „gewerkschaftsnahen“ Westberliner ABM-Profis und dem Vergabeausschuß der TLG. Atlantis war der einzige Bewerber, der zum geforderten Termin die erforderliche Bankbürgschaft vorlegen konnte, muß aber auch Hartmut Wolter einräumen. Er habe die Bankbürgschaft nicht rechtzeitig beibringen können, weil dafür nur drei Wochen Zeit waren. „Für jemanden, der das zum erstenmal macht, war die Frist viel zu kurz.“
Doch die Vorwürfe von Hartmut Wolter gehen noch weiter. „Vorsätzlich“ habe die TLG den Vertrag zu Lasten des Vereins Kesselberg abgeschlossen. Wolter zieht ein Schreiben aus seiner Aktentasche, in der die Treuhandanstalt der Initiativ- und Planungsgruppe Kesselberg versichert, sie bekomme bei einer Privatisierung des Geländes alle Leistungen erstattet, „wenn sie tatsächlich werterhöhend sind“.
Wem gehören die Anlagen, Maschinen, Einbauten, die der Verein mit Fördermitteln des Landes Brandenburg angeschafft und aufgestellt hat? Knapp 3 Millionen Mark beträgt der Gegenwert, rechnet Wolter vor und sieht nicht ein, daß alles jetzt Atlantis gehören soll. Um Tatsachen zu schaffen, hat Wolter in einer nächtlichen Aktion Ende Juni eine komplette Photovoltaikanlage vom Dach eines der Häuser sowie ein tonnenschweres Blockheizkraftwerk abtransportiert. Atlantis sieht sich als rechtmäßiger Eigentümer und hat inzwischen Strafanzeige wegen schweren Diebstahls gestellt. „Das ist glatte Selbstjustiz!“ flucht der Geschäftsführer von Atlantis Berlin, Uwe Gluntz.
Die Rechtslage ist kompliziert. Wolter verweist darauf, daß die Fördermittel vom Potsdamer Umweltministerium zweckgebunden an den Verein vergeben wurden. Daher könnten die Anlagen an einen neuen Standort mitgenommen werden. Nach Angaben des Umweltministeriums jedoch gibt es keine generelle Gebundenheit von Geräten, die mit Fördermitteln bezahlt wurden, an bestimmte Personen oder Gruppen. Alles sei vielmehr eine Frage von Nutzungsverträgen. Doch daran hatten beide Seiten nicht gedacht, als sie noch Partner und nicht Streitparteien waren. Hartmut Wolter hat inzwischen einen Rechtsanwalt eingeschaltet, um den Kaufvertrag und das ihm zugrunde liegende Wertgutachten anzufechten. Der Kaufpreis von 800.000 Mark für das 500.000 Quadratmeter große Gelände sei viel zu niedrig.
Die Pressesprecherin der Treuhandliegenschaftsgesellschaft, Sabine Pentrop, widerspricht. Zwar seien mit dem Kaufvertrag alle „wesentlichen Werte“ an Atlantis übergegangen. Diese Formulierung im Kaufvertrag beziehe sich jedoch nur auf das tatsächliche Eigentum der TLG und nicht auf die vom Verein Kesselberg geschaffenen Werte. Doch eine Inventarliste ist von der TLG nie erstellt worden. Ob in den Gesprächen noch eine Einigung erzielt werden kann, erscheint fraglich.
„,Ökologische Zentrum‘, das ist doch Augenwischerei!“ schimpft Atlantis-Geschäftsführer Peter Wohlkönig angesichts der Müllberge und der auch nach sieben Jahren noch nicht beseitigen Stasi- Hinterlassenschaften im Wald.
Er verwahrt sich gegen alle Vorwürfe, Atlantis würde ein Projekt platt machen. „Hier kann man nichts kaputtmachen, hier ist nie etwas aufgebaut worden.“ Atlantis will sich an der ursprünglichen Konzeption orientieren, einen ökologischen Bauhof einrichten und den Kesselberg für gestreßte Großstadt-Touristen erschließen.
Ein letztes Mal geht Klaus Wegner durch das Dachgeschoß, das er in den letzten Monaten mit zehn ABM-Kräften ausgebaut hat. In den Schlafräumen fehlen nur noch die Tapeten, im Saal fehlt die Wandverkleidung. Der Maschinenbaumeister kann noch gar nicht fassen, daß alles aus sein soll. Zärtlich streicht der 55jährige über eine Rigipswand und entdeckt doch noch eine Delle, die mit bloßem Auge überhaupt nicht zu erkennen ist. „Ich habe das meinen Leuten hundertmal vorgemacht“, flucht er und ist doch stolz, daß sie das zusammen hinbekommen haben. „Wir sind doch alle nicht vom Fach.“
Mit 60 Angestellten, ABM- Kräften, Zivildienstleistenden und Auszubildenden ist der Kesselberg der größte Arbeitgeber in der 1.400-Seelen-Gemeinde Neu Zittau. Für viele Bewohner, die sich von ABM-Projekt zu ABM-Projekt hangeln, bietet der Kesselberg die einzige Arbeitsmöglichkeit. Im Nachbargebäude steht eine Metallwerkstatt, in der zehn schwervermittelbare Jugendliche zu Heizungs- und Lüftungsbauern ausgebildet werden. Wenn es nicht gelingt, die Werkstatt bis Anfang August am neuen Standort einzurichten, ist die gesamte Maßnahme einschließlich der betreuten Wohnungen gefährdet.
Hartmut Wolter hat schon neue Träume. Auf dem Gelände der ehemaligen Teerfabrik in Erkner soll es weitergehen. Stolz reicht er die ersten Fotos von der gemieteten Fabrikhalle herum. Im „Ökowerk Erkner“ soll jetzt zunächst das Ausbildungsprojekt fortgesetzt werden. Der nächste Streit mit Atlantis ist allerdings bereits vorprogrammiert, denn den Titel „Ökologisches Zentrum Kesselberg“ hat Wolter samt Logo schützen lassen.
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