■ Die Linke glaubt gute Gründe gegen die Währungsunion zu haben. So wird sie zum nützlichen Idioten der EU-Feinde: Sparen für Maastricht?
Bekanntlich wird die Bundesrepublik auch 1996 das Kriterium für die laufende Neuverschuldung von höchstens drei Prozent des Bruttosozialprodukts nicht einhalten. Das Haushaltsjahr 1997 wird über die Teilnahme an der Währungsunion entscheiden. Doch werden nicht die jetzt dem Kabinett vorgelegten Pläne des Finanzministers, sondern das Ist-Ergebnis den Ausschlag geben. Um so merkwürdiger muß erscheinen, wenn er ein Zahlenwerk zusammenstoppelt, das zwar auf dem Papier die Maastricht-Kriterien erfüllt, in seinen Annahmen aber kaum realistisch ist. Dennoch gibt sich Finanzminister Waigel pflichtgemäß zuversichtlich. Eben diese vorgetäuschte Zuversicht muß mißtrauisch machen. Sie läßt befürchten, daß bei den Etatberatungen im Herbst zwar ständig „Maastricht“ gegen jede Kritik ins Feld geführt werden, die Europäische Währungsunion aber dennoch nicht zuletzt an der realen Datenlage der Bundesrepublik scheitern wird.
Gegner der Währungsunion gibt es genug, nicht nur in den Reihen der Opposition, die in dieser Hinsicht nach den Ausfällen während der Wahlkämpfe im Frühjahr wieder etwas leiser geworden ist, sondern vor allem auch in der CSU und in der Bundesbank. Es wäre zwar gewiß nicht das Wunschergebnis der Bundesregierung, wenn die Währungsunion an ihrem Versagen scheitern sollte, aber bis in ihre Reihen hinein könnte es welche geben, die sich dabei ins Fäustchen lachen. Denn neben der Erfüllung des Maastrichter Vertrages, der Übertragung der Währungspolitik an eine Europäische Zentralbank, in der die Macht mit Partnern geteilt werden muß, bleibt ja die Alternative des Status quo. Die lautet: Die Bundesbank zieht in eigener Machtvollkommenheit eine ganze Reihe von Staaten innerhalb und außerhalb der EU hinter sich her und sammelt sie zu einem D-Mark-Block.
Diese machtpolitisch attraktive Vision ist der Kern der, oft wirtschaftstheoretisch verbrämten, Ablehnung der Währungsunion. Da die entsprechenden politischen Kräfte vor allem in dem von Kohl repräsentierten Lager zu finden sind, ist es nicht weiter verwunderlich, daß sie nicht auf einen offenen Konfrontationskurs setzen, sondern eher mit dem automatischen Scheitern von Maastricht rechnen. Hinter der Diskussion um die Währungsunion lauert immer die Entscheidung zwischen der Westbindung der Bundesrepublik mit der deutsch-französischen Union als Kern und der Orientierung auf „Mitteleuropa“ – das heißt auf eine selbständige Kräftegruppierung zwischen West und Ost um ein hegemoniales Deutschland herum. Diese Entscheidung ist noch längst nicht gefallen, wie unlängst das „Kerneuropa“-Papier der CDU- Fraktion gezeigt hat. Es pochte zwar auf eine festere Verbindung mit Frankreich, drohte aber mit der mitteleuropäischen Option.
Spätestens nach den großen französischen Streiks vom letzten Dezember, die absurderweise als erste Streiks gegen Maastricht und/ oder die Globalisierung interpretiert wurden (warum nicht gleich als revolutionäre, antikapitalistische Massenstreiks?), ist es in weiten Teilen der Linken üblich geworden, die Bonner „Sparpolitik“ als Erfüllungshilfe für Maastricht zu interpretieren und zu geißeln, offensichtlich ohne zu ahnen, daß man damit weniger den Armen als vielmehr den Nationalreaktionären dienen könnte. So werden wir wahrscheinlich in der kommenden Zeit das absurde Theater erleben, daß anhand der Sparpolitik der Regierung über Maastricht gestritten wird – und nicht über ihren Inhalt. Am Ende wird die Regierung dastehen, als wäre sie am Widerstand gegen Maastricht gescheitert – anstatt für ihre Unfähigkeit (oder Unwilligkeit), die Währungsunion zu verwirklichen, zur Rechenschaft gezogen zu werden. Das wäre zwar sicher eine Niederlage für Kohl, aber bestimmt kein Sieg für die Linke.
Es ist doch so: Ganz unabhängig von den Kriterien für die Währungsunion ist die Staatsverschuldung längst zum entscheidenden Faktor für die beklagte Umverteilung von unten nach oben geworden. Alle Lohnabhängigen zahlen die Steuern, mit denen die Zinsen bedient werden, die sich in wenigen Händen konzentrieren. Die mit dem Schuldendienst steigende Belastung der Lohnabhängigen dient dann wieder als Rechtfertigung für Sparprogramme, die vor allem jene treffen, die zu schwach sind, um Steuern zahlen zu können. Damit wird ein Mechanismus in Gang gehalten, der zur Erosion der gesellschaftlichen Mitte führen muß. Diese wird in der Bundesrepublik durch Lohnabhängige gebildet. Diese gesellschaftliche Mitte von Lohnabhängigen war es, an der die 1982 von Kohl propagierte Wende gescheitert ist und vor der bisher jedes offen reaktionäre und deutsch-imperialistische Programm schon in den ersten Artikulationsansätzen zurückweichen mußte. Sie ist die gesellschaftliche Basis der Bundesrepublik und des europäischen Einigungsprozesses in der Bundesrepublik. Sie muß geschwächt werden, wenn eine reaktionäre Wende gelingen und ein Ausbruch aus der Westbindung versucht werden soll. Und sie muß vor allem durcheinander gebracht und verwirrt werden.
Dazu trägt eine etwas zurückgebliebene Linke kräftig bei. Etwa indem sie nicht in der Lage ist, die Kriterien von Maastricht für eine ganz unabhängig von ihnen dringliche Politik gegen die wachsende Staatsverschuldung zu nutzen. Etwa indem sie nicht zu unterscheiden versteht zwischen der Notwendigkeit, die Staatsschulden zurückzuführen, und einer „Sparpolitik“ der Bundesregierung, die ihr gerade nicht entspricht. Etwa indem sie den verstaubten Keynesianismus wieder hervorkramt. Etwa indem sie mit ausschließlich sozialpolitischen Argumenten sich gegen den Ort wendet, an dem die gesellschaftliche Mitte der Bundesrepublik europäischen Halt finden kann, „Brüssel“, und indem sie mit dem Anrennen gegen die Maastricht-Kriterien eine Schuldendynamik bekräftigt, die die Demokratie untergräbt. Die Aufgabe einer ernst zu nehmenden Linken wäre: mit den Maastricht-Kriterien im Rücken die „Sparpolitik“ der Regierung, für die die Währungsunion nur eine wohlfeile und wohl nicht mal ernst gemeinte Ausrede ist, auseinanderzunehmen. Joscha Schmierer
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