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"Schau an, er hat sich gefunden"

■ Berlin besitzt neben allerlei Techno-, Jungle- und HipHop-Fraktionen auch eine nicht unerhebliche Low-Fidelity-Gemeinde. Ein Meister der kleinen Form ist der aus Neuseeland zugewanderte Bill Direen, der se

taz: Bill, du lebst seit geraumer Zeit in Berlin. Hat diese Stadt dein neues Album in irgendeiner Weise beeinflußt?

Bill Direen: Ja. Es ist zwar keine Platte über Berlin, aber man kann viele kleine Geschichten darin wiedererkennen. Es ist eine Sache zwischen Pop und Chaos – und wenn man sich in Berlin umschaut, hat man ebenfalls den Eindruck, daß hier gleichzeitig etwas aufgebaut und zerstört wird.

In den späten Siebzigern hast du mit einer Band namens Vacuum angefangen. Aber in den letzten Jahren hießen deine Projekte The Builders, The Bilders, Bilderine, Bilder Berger oder Die Bilder. Warum?

Oh, diese Wortspielerei war eher eine private Sache. Na ja, wieviel verschiedene Sachen kannst du mit deinem Namen machen? Zwischenzeitlich nahm das ein wenig überhand. Da fragten sich die Leute: „Ja, weiß der Typ denn nicht, wie er seinen Namen buchstabiert?“ Von daher bin ich erleichtert, daß auf der neuen Platte Bill Direen steht. „Schau an, er hat sich endlich gefunden“ – ha ha. Obwohl man sich vor Stagnation hüten muß.

Beim Konzert dachte ich: He, das ist ja wie David Byrne. Kurze Zeit später war es der frühe Billy Bragg, eine Saite riß, und ich dachte an die Mountain Goats. Als nach einer halben Stunde die Band auf die Bühne kam, blieb ich zwischen New Model Army und den Violent Femmes hängen. Welche Musik hörst du gerne?

Eigentlich mag ich jede Art von Musik. Vor einigen Wochen war ich bei einem Konzert von David Moss und habe das genossen. Ich mag Tom Cora, improvisierte Musik, nenn es Avantgarde. Aber auch Rock 'n' Roll, handgemachte Klänge. Ich mag die Butthole Surfers und die Art, wie einige Bands in den Achtzigern mit Mikrofonen umgegangen sind. Grundsätzlich ziehe ich Bands vor, die sich von der Technologie nicht das Heft aus der Hand nehmen lassen, die weiter gegen die Unterjochung des Individuums durch die Technologie kämpfen. Klänge sind mir allerdings genauso wichtig: die vorbeifahrende Straßenbahn, alles, was man täglich hört. Das mag ich besonders an Berlin – nicht das visuelle Stadtbild, sondern das akustische. Weil die Gebäude hier niedrig sind, haben die Klänge genug Raum, sich auszubreiten und im Unendlichen zu verschwinden. Was ich nicht mag, ist unehrliche Musik – sofern sie nicht totaler Camp ist.

Die deutsche Post-Grunge- Band Tocotronic hat ein Lied mit dem Titel „Es ist einfach Rockmusik“ geschrieben. Darin heißt es: „Ich will kein Lo-Fi-Spießer sein“. Gibt es Lo-Fi-Spießer? Bist du einer davon?

Hm. Ich habe eine Menge Home-Recording gemacht und viele Instrumente und Frequenzen benutzt, die Anfang der Achtziger jeder Produzent abgelehnt hätte. Jetzt, nach der sogenannten „Lo-Fi-Revolution“, gibt es eine Öffnung. Eine Vielzahl von Klängen und unterschiedlichste Wege, sie zu erzeugen, ist akzeptabel (nimmt einen Hammer und klopft auf einer Kassettenhülle herum, bis sie zerbricht). Klingt gut, nicht? Aber der Begriff wird sich nicht halten können, es ist eher eine technische als eine ideologische Frage.

Zur Zeit gibt es zwei erfolgreiche Lo-Fi-Acts: Beck und Guided By Voices. Hat es in diesem Zusammenhang noch Sinn, von Lo-Fi zu reden, obwohl sie inzwischen zumindest finanziell die Möglichkeit hätten, saubere Popmusik einzuspielen?

Ja, denn wenn man anfängt, Musik zu machen, entwickelt man während der ersten fünf bis zehn Jahre seinen eigenen Stil – wie Maler oder Bildhauer. Nimm Guided By Voices, Strapping Field Hands, die Mountain Goats oder Smog und Sebadoh. Sie werden immer wieder zu ihren Wurzeln zurückkehren und die Paradigmen der Popmusik unterwandern.

Bevor du dich vollständig der Musik zugewandt hast, warst du Dozent für englische Literaturgeschichte. An deinen Songs fällt auf, daß es dir vorrangig um das ungewöhnliche Erzählen ungewöhnlicher Geschichten geht. Jetzt ist die Rohfassung deines ersten Romans fertig. Wovon handelt das Buch und wie ist es geschrieben?

Es ist eine Liebesgeschichte, die in Berlin spielt. Ich würde sagen, daß man es früher als „experimentelle Prosa“ bezeichnet hätte – ein Spiel mit den Erwartungen der Leser. Der Boden verschiebt sich, fünf unterschiedliche Stimmen erzählen. Zur Zeit gibt es verschiedene Leute, die mit dem Gedanken spielen, es ins Deutsche zu übertragen. Das könnte ein ziemlich interessantes Projekt werden. Interview: Gunnar Lützow

Bilders Vol. 1 (Max Quitz), 1993, Flying Nun

Bilders Vol. 2 (Beatin Hearts), 1994, Flying Nun

Bilderine – Split Seconds, 1994, Flying Nun

Bilders Vol. 4 Pyx (1985-1988), 1994, Flying Nun

The Bilders – Cut, 1994, IMD/ Raffmond

Bill Direen – Human Kindness, 1996, Corazoo

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