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Wichtiges Zahnrad in der NS-Mordmaschinerie

■ betr.: „Tatort Schreibtisch“, taz vom 12. 7. 96

In dem Artikel über die „Villa ten Hompel“ in Münster, ab 1940 Sitz des Befehlshabers der Ordnungspolizei (BdO) im Wehrkreis VI, wird die Funktion dieser Stelle in der NS-Zeit nur vage beschrieben und teilweise mit der Gestapo verwechselt. Über Jahrzehnte wurde die Rolle des BdO und der insgesamt 200.000 ihm zur Verfügung stehenden uniformierten Kräfte im Luftschutz betont – und verschwiegen, daß der BdO Wachmannschaften für „Arbeitserziehungslager“ und Deportationszüge aufstellte und an der Aufstellung, Ausbildung und Betreuung von (Reserve-)Polizeibataillonen im Krieg beteiligt war.

Von den 17 im Bereich des BdO Münster, dem späteren NRW, aufgestellten Polizeibataillonen waren elf ab Sommer in Polen und der Sowjetunion im Einsatz und dort an der systematischen Ermordung von Juden, mutmaßlichen Kommunisten und Partisanen beteiligt: zum Beispiel das Pol.batl. 309 aus Köln, das am 27. Juni 1941 in Bialystok über 2.000 Juden erschoß und verbrannte; zum Beispiel die Batl. 307 (Duisburg) und 316 (Recklinghausen) in Belarus; zum Beispiel die Bataillone 65 (Recklinghausen) und 67 (Essen), die zusammen mit dem Hamburger Batl. 101 willige Vollstrecker der „Aktion Reinhard“, der systematischen Ermordung der polnischen Juden im Distrikt Lublin waren. (Der Weg des Batl. 101 ist von Browning, „Ganz normale Männer“, und Goldhagen nachgezeichnet worden.) Ermittlungsverfahren gegen ehemalige Angehörige von neun dieser Batl. haben das zweifelsfrei ergeben.

Der BdO war ein „Schreibtischtäterort“ der mittleren Ebene, eine „ganz normale Behörde“ als wichtiges Zahnrad in der NS-Mordmaschinerie, deren Vollstrecker „ganz normale“ Männer, Beamte, Nachbarn waren. Hier könnte die Dimension arbeitsteiliger Mittäterschaften im NS-System exemplarisch deutlich werden. Hier eine Erinnerungs- und Begegnungsstätte einzurichten, wäre ein bundesweit einmaliges Projekt.

Eine „heftige Auseinandersetzung“ hat es in der Öffentlichkeit um die künftige Nutzung keineswegs gegeben. Alle Ratsfraktionen begrüßten vielmehr überraschend schnell die historisch-politische Nutzung der Villa. Widerstände beziehungsweise Probleme ergaben sich allerdings beim konkreten Nutzungskonzept und der Finanzierung. Es wird darauf ankommen, Kooperationspartner für dieses Projekt zu gewinnen, zum Beispiel bei den in Münster ansässigen Polizeiausbildungsstätten (Polizeiführungsakademie, Höhere Landespolizeischule) und in Münsters Partnerstadt Lublin. Winni Nachtwei, MdB,

Bündnis 90/Grüne, Münster

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