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Olle Kamellen im High-Tech-Gewand

■ Evergreens à la carte: Im digitalen TV-Zeitalter wird der Ramsch aus dem Kirch-Archiv zum deliziösen Premium-Fernsehen umdeklariert

Das wäre ein schöner Startschuß gewesen: Formel-1-Fahrer Michael Schumacher gewinnt am Sonntag den Großen Preis von Deutschland, und die Kirch- Gruppe startet mit der Live-Übertragung des Rennens auf fünf Kanälen gleichzeitig und aus fünf verschiedenen Perspektiven in die digitale Fernsehzukunft. Doch daraus wird nichts. Denn Schumis Ferrari-Motor stottert schon länger, und auch der neue Fernsehkanal DF1 hat Startprobleme. Zwar beginnt das Programm des ersten digitalen Fernsehsenders wie geplant am 28. Juli, doch weder Produktion noch Vertrieb konnten mit den Hochgeschwindigkeitsplänen der Kirch-Gruppe Schritt halten. So können sich am Sonntag lediglich ein paar Kirch-Angestellte, bei denen der Decoder bereits auf dem Fernseher thront, an der Zapping-Orgie beteiligen. Der Rest der Fernsehnation muß das Rennen aus monotoner RTL-Perspektive schauen.

Dabei sind prominente Sportereignisse so ziemlich das einzig Lohnenswerte im DF1-Programm. Ansonsten sieht es eher so aus, als solle der altbekannte Ramsch aus den Archiven zum Premium-Fernsehen hochgejubelt werden. So liest sich das Programmheft des neuen Kanals DF1 auch eher wie eine Hör zu aus den sechziger Jahren: Im gepriesenen Standardpaket für 20 Mark lauert manch schimmeliger Evergreen wie zum Beispiel „Bonanza“, „Hawaii 5-0“ oder „Perry Mason“. Flankiert werden die Serien-Oldies von bewährter Spielfilmware aus Kirchs unerschöpflichen Programm-Silos, die es so auch schon bei Kabel 1 zu schauen gibt und die es dort gerade mal auf zwei Prozent Marktanteil bringt.

Auch beim Rest des Einsteiger- Pakets besteht kaum Gefahr, sich mit dem Digital-TV-Virus zu infizieren: Im Kinderkanal „Junior“ gibt's ein Wiedersehen mit Lassie, und das Zeichentrick-Programm „K-toon“ bestreiten Tom & Jerry fast im Alleingang. Wer das Gesamtpaket für monatliche 30 Mark abonniert, empfängt zusätzlich die Sportprogramme DSF Golf sowie DSF plus mit Boxen, Formel 1 und „Cinedom“, das auf drei Kanälen zeitversetzt Spielfilme ausstrahlt, für die man jeweils mit rund 7 Mark zur Kasse gebeten wird (Video-near-on-demand). Und das für gut abgehangene Movies wie „Star Trek“, die in der Kirch- Sprache zum „Kino à la carte“ umdeklariert werden.

Zwar soll auf Unterbrechung durch Werbeblöcke verzichtet werden, frei von plärrenden Spots wird das neue Fernsehen aber keineswegs sein. Wirklich neu im digitalen Paket ist also nur der deutsche Ableger des in Amerika sehr erfolgreichen Discovery Channel.

Auch die geplante programmliche Erweiterung von DF1 im Herbst um einen Klassiksender, Kanäle für Westernserien, Kinokomödien und Heimatfilme sowie den englischsprachigen NBC Super Channel scheint die Attraktivität des Angebots nur geringfügig zu steigern. Für Sportveranstaltungen wie Autorennen müssen die Kunden von DF1 allerdings drauflegen. Für die wenigen Leckerbissen im digitalen Fernsehen muß man also noch extra zahlen.

O. Gehrs/Tilmann P. Gangloff

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