■ Weitere Opfer des Hungerstreiks türkischer Gefangener
: Wie viele Tote noch?

Heute ist der 68. Tag des Hungerstreiks in den türkischen Gefängnissen. Bisher sind sechs Menschen gestorben, und Dutzende schweben in Lebensgefahr. Obwohl die türkische Öffentlichkeit von der Regierung dringend eine Initiative zur Beendigung des Hungerstreiks erwartet, ist von deren Seite nichts zu erwarten. Die neue türkische Regierung scheint es mit dem ehemaligen Generalstabschef und späteren Staatspräsident Kenan Evren zu halten. Der äußerte nach dem Militärputsch von 1980 über politische Häftlinge: „Soll der türkische Staat etwa diese Terroristen auch noch ernähren, statt sie zu erhängen?“

Die demokratischen Kräfte in der Türkei hoffen immer noch, daß der Staat mit dieser Einstellung gegenüber den politischen Häftlingen bricht. Denn wie die anderen Staatsbürger stehen auch die Gefangenen unter dem Schutz der Gesetze. Selbst dann, wenn es sich tatsächlich um „Terroristen“ handelt, die in Anschläge und Mordakte verwickelt waren.

Parallel zur wachsenden Zahl der Todesfälle in den Gefängnissen steigt die gesellschaftliche Unruhe. Mittlerweile ist eine Unterschriftenkampagne, die sich an das Justizministerium richtet, gestartet worden. Die Kammern der Ärzte, der Apotheker, der Ingenieure und Architekten, die Sozialdemokratische Partei (SHP), die prokurdische Partei Hadep, die Sozialistische Arbeiter-Partei, die Freiheitliche Demokratische Partei sowie zahlreiche Prominente machen den Justizminister Șevket Kazan verantwortlich für die Todesfälle und fordern ihn auf, weitere Tote zu verhindern. Aber Șevket Kazan, selbst 1980 zehn Monate lang ohne Prozeß in Haft, hat anscheinend seine damaligen Lebensbedingungen vergessen.

Seit Jahren kommt es immer wieder zu Hungerstreiks in den Gefängnissen. In den letzten 16 Jahren haben dabei 21 Menschen ihr Leben verloren. Gefängnisse sind ein Gradmesser dafür, wie die Demokratie eines Landes funktioniert. Nicht nur in den Gefängnissen der Türkei scheint etwas nicht zu stimmen.

Die Fronten in der Türkei sind derzeit so verhärtet, daß weitere Tote zu einer kaum abschätzbaren Eskalation führen würden. Die aber könnte das Land kaum verkraften. Cigdem Akkaya

Stellvertretende Direktorin des Zentrums für Türkeistudien