: Verkohlte Hütten, verlassene Äcker
Der afrikanische Hutu-Tutsi-Konflikt tobt auch im Osten von Zaire. Schwerbewaffnete Hutu-Milizen aus Ruanda haben weite Landstriche von Tutsi und Angehörigen anderer Ethnien „gesäubert“ ■ Aus Goma Ludwig Sarasin
„An der Grenze nahmen uns die zairischen Soldaten die Ausweise ab. Sie sagten, daß wir nach Ruanda ,zurückkehren‘ und uns nicht mehr blicken lassen sollten. Wir sind aber keine Ruander. Wir sind Zairer und wollen zurück. Viele von uns leben seit Generationen dort.“ André ist einer von etwa 18.000 Tutsi, die seit April aus der an Ruanda angrenzenden Region von Zaire fliehen mußten. Mit 12.000 anderen Flüchtlingen lebt er jetzt im Camp „Petite Barrière“ im ruandischen Gisenyi, nur einen Steinwurf von der Grenze entfernt.
Das Camp wird vom UN- Flüchtlingshilfswerk UNHCR versorgt, die Flüchtlinge leben in geräumigen Zelten aus stabilen UNO-Plastikplanen. André ist Lehrer und organisiert im Flüchtlingsrat das Leben im Camp. Für seine Vertreibung macht der Tutsi die ruandischen Hutu-Milizen „Interahamwe“ sowie Soldaten der ehemaligen ruandischen Armee verantwortlich, die in Ruanda 1994 den Völkermord an Hunderttausenden Tutsi und moderaten Hutu ausführten und sich dann nach Zaire zurückzogen. „Alles nahm seinen Anfang, als die Interahamwe nach Goma kamen. Viele ließen sich nicht in den Flüchtlingslagern sammeln. Sie zogen ins Landesinnere und stachelten ihre dort lebenden Hutu-Brüder gegen die anderen Ethnien auf. Sie schlossen sich mit zairischen Hutu-Extremisten zusammen. So kam das Gift des ethnischen Hasses aus Ruanda in unsere Dörfer.“
André floh eines Abends im vergangenen März „in die Bananen“, nachdem Hutu-Milizen zwei Tutsi-Familien an seinem Ort in der Nähe von Kichanga umgebracht und deren Häuser angezündet hatten. Ein paar Tage versteckte er sich in den Hügeln und schloß sich dann einem Konvoi der Hilfsorganisation Caritas nach Goma an. Schließlich landete er im Flüchtlingslager auf der anderen Seite der Grenze.
„Sie wollen ein Hutu-Land schaffen“, analysiert er das Handeln der ruandischen Milizen im Osten Zaires. Die aktuelle Lage gibt ihm recht: Vier Distrikte der Provinz Nord-Kivu – Masisi, Walikale, Lubero und Rutshuru – sind in großen Teilen bereits „ethnisch gesäubert“. Die Tutsi-Minderheit, die dort teils seit über sechzig Jahren gelebt hatte, ist mit Ausnahme von etwa tausend Menschen außer Landes. Die wenigen Zurückgebliebenen warten in zwei Orten auf einen Konvoi, der sie sicher durch das von Hutu-Milizen kontrollierte Gebiet nach Goma bringt. Zehntausende Mitglieder des zairischen Bahunde-Volkes haben ein ähnliches Schicksal wie die zairischen Tutsi. Sie, die in der Region bislang die Administration kontrollierten, mußten ebenso fliehen – jedoch nicht außer Landes.
Bis zur Hälfte der auf 700.000 Menschen geschätzten Bevölkerung des Distriktes Masisi soll inzwischen vor brandschatzenden Milizen geflohen sein. Tausende Menschen kamen um. Die Dörfer an den Straßen, die von Sake westlich nach Masisi und nördlich nach Kichanga führen, sind zum Teil zerstört und verlassen. Die Landwirtschaft liegt brach, weil sich die Bauern nicht auf die Felder trauen. Normalerweise können vier Ernten im Jahr eingefahren werden. Der Viehbestand im Distrikt soll von 450.000 Rindern auf 20.000 geschrumpft sein. Die Folgen für die Ernährung der Region lassen sich leicht ausmalen.
„Südlich, östlich und nördlich von Masisi besteht faktisch eine reine Hutu-Zone“, berichtet der Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, der seinen Namen nicht genannt haben will. Auf einer Karte skizziert er das „Hutu-Land“: Er markiert zwei Punkte, jeweils 90 Kilometer nördlich und westlich von Goma, und verbindet sie mit einem Zirkel. Außer Goma und einigen verbliebenen Bahunde-Enklaven sei diese Zone von Hutu kontrolliert. „Besonders kritisch steht es um Kichanga“, sagt er. Früher sei es ein Nest von 2.000 Menschen gewesen – heute hätten dort 35.000 Bahunde Zuflucht gesucht und mehrere Angriffe der Hutu-Milizen abgewendet. Bei getöteten Milizionären hätten Dorfbewohner Ausweise der ehemaligen ruandischen Armee und der „Interahamwe“ gefunden; der Mann hat die Ausweise selbst gesehen. Neue Angriffe seien zu befürchten: „Die haben modernste Waffen – Granaten, Maschinengewehre, Raketenwerfer.“
Die Milizen, mit denen die Bahunde zurückschlagen, pflegen einen eigenen Kampfstil. Die sogenannten Mayi-Mayi kämpfen nackt und „machen Kugeln zu Wasser“ – so jedenfalls lautet das Gerücht. Allein ihr Auftauchen schlägt viele Gegner in die Flucht. Die magische Kraft der Mayi-Mayi hat jedoch offenbar nicht gereicht. In einem Flüchtlingslager in Sake am Kivu-See leben mehrere tausend Bahunde. Sie hausen in kleinen engen Strohhütten, denn bei diesen Inlandsflüchtlingen ist das UNHCR nicht tätig. Ihre Dörfer liegen eigentlich nur wenige Stunden Fußmarsch entfernt, aber sie trauen sich wegen der Interahamwe nicht mehr dorthin. „Die haben uns sogar hier im Camp von den umliegenden Hügeln aus beschossen“, sagt ein etwa 20jähriger Flüchtling. „Sie kommen aus den Lagern.“
Gemeint sind die großen ruandischen Flüchtlingslager von Goma. Sake liegt 25 Kilometer westlich von Goma, eingebettet in die Ausläufer einer Hügelidylle, die sich bis nach Masisi und darüber hinaus ausdehnt. Dorthin ist die Reise jedoch nicht möglich, denn ein Kontrollpunkt mit zehn zairischen Soldaten versperrt hinter Sake die Weiterfahrt. Vor Sake dagegen, entlang der Straße aus Goma, herrschen die Ruander. Wenige Kilometer östlich von Sake liegen die Camps „Mugungu“ und „Lac Vert“, die allein 200.000 der 700.000 ruandischen Hutu- Flüchtlinge in Zaire beherbergen. In beiden Lagern werden besonders viele Interahamwe-Milizionäre vermutet. Nur wenige hundert Meter von „Lac Vert“ entfernt hat sich der Generalstab der ehemaligen ruandischen Armee eingerichtet, in „Washington D.C.“ mit idyllischem Blick auf den Kivu-See. Die Fleischpreise sind in den Camps niedriger als in der Stadt Goma: Hier gehen die geraubten Herden der zairischen Tutsi über die Ladentische.
Daß die Bahunde-Enklave Kichanga noch nicht den Hutu-Extremisten zum Opfer gefallen ist, ist der zairischen Präsidialgarde zu verdanken. Kichanga ist wohl fast der einzige Ort in der ganzen Gegend, in dem zairische Soldaten tatsächlich die Bevölkerung geschützt haben. „Meistens standen die Soldaten daneben, wenn unsere Häuser in Flammen aufgingen, oder sie haben mit geplündert“, berichten ansonsten sowohl Tutsi- wie Bahunde-Flüchtlinge. Die Komplizenschaft des zairischen Militärs mit den ruandischen Milizen war vorhersehbar. Ohne warme Kleidung in einem kühlen Hochland, ohne Sold und ohne regelmäßige Nahrungsversorgung waren die zairischen Soldaten auf sich und ihr geladenes Gewehr gestellt. Die Hutu aus Ruanda hingegen brachten 1994 nicht nur ihre Armee mit, sondern auch die Staatskasse. Damit war Geld reichlich vorhanden.
Um die verfeindeten Bahunde- und Hutu-Milizen zu entwaffnen, wurden im April 800 Soldaten der von Präsident Mobutu befehligten Präsidialgarde, die im Gegensatz zur Armee gut ausgerüstet und bezahlt ist, an den Straßen hinter Sake stationiert. Die „Operation Kimia“ („Schweigen“) war „ein vollkommener Reinfall“, meint ein zairischer Gesprächspartner: Kaum jemand ließ sich entwaffnen. Daß dennoch relative Ruhe einkehrte, sei auf die vollzogene „ethnische Säuberung“ zurückzuführen. Außerdem habe sich der Konflikt danach von Masisi in die Gegend um Rutshuru verlagert.
„Natürlich hat Mobutu ein Interesse am Konflikt“, meint der Mitarbeiter einer zairischen Menschenrechtsorganisation in Goma. „Die Provinz Kivu war immer eine Oppositionshochburg.“ Deshalb habe sie seit vierzehn Jahren nicht mehr an zairischen Wahlen teilnehmen dürfen. Jetzt, mit Blick auf die unter internationalem Druck anstehende Präsidentschaftswahl im Mai 1997, komme Mobutu die „ethnische Säuberung“ der Provinz gelegen: Wer wolle denn schon die Wählerregistrierung kontrollieren, wenn die Hutu die ganze Administration übernehmen wie zum Beispiel in Masisi. „Es ist ja auch logisch, daß Mobutu mit seinen besten Beziehungen zum früheren ruandischen Regime jetzt die Hutu-Flüchtlinge nicht im Stich läßt.“
Um die Provinz zu befrieden, fand Anfang Juli ein „Friedensforum“ in Zaires Hauptstadt Kinshasa statt – jedoch ohne großes Resultat. Provinzgouverneur Moto Mopenda hatte für die Konferenz viele schöne Worte übrig, aber Provinzbewohner erinnern sich, wie er selbst im Mai 1995 mit Sprüchen wie „Gastfreundschaft hat Grenzen“ oder „Man muß gegen die Immigranten vorgehen“ grünes Licht für die Vertreibung der Tutsi gab. Haßtiraden gegen Tutsi seien damals auf den beiden zensierten Kanälen von Radio Goma und auch mit mobilen Lautsprechern verbreitet worden. In Rutshuru, so berichten Tutsi- Flüchtlinge in Gisenyi, habe der Gouverneur den Tutsi gesagt: „Ihr habt die Wahl zwischen Deportation und Tod.“
Hilfsorganisationen sehen bereits den nächsten Konflikt heraufziehen: Die ruandischen Hutu-Extremisten könnten als nächstes die ansässige zairische Hutu-Bevölkerung terrorisieren, wenn die sich sträube, weiter gegen Bahunde oder die drei kleinen Ethnien der Nande, Nyanga und Tembo vorzugehen. Das Hutu-Land ist noch nicht perfekt.
Die zairischen Tutsi in Gisenyi jedenfalls können sich auf langes Warten einstellen. „Es ist paradox“, sagt einer der Flüchtlinge. „Die Interahamwe, die für den Völkermord in Ruanda verantwortlich sind, genießen jetzt in Zaire mehr Rechte als wir, die wir dort geboren sind.“
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