: Land unter am Yangtse
In China jagt eine „Jahrhundertüberschwemmung“ die nächste. Landgewinnung und Abholzung sind maßgeblich schuld an dem Problem ■ Von Sven Hansen
Die schwersten Überschwemmungen seit Jahrzehnten haben in Süd- und Mittelchina seit Ende Juni bisher 1.600 Todesopfer gefordert. Vier Millionen Menschen sind von der Außenwelt abgeschnitten, über zwei Millionen wurden obdachlos. Die Schäden werden bisher auf 11,3 Milliarden US-Dollar geschätzt. Bereits in der letzten Woche bat die Regierung in Peking um internationale Hilfe. In den Hochwassergebieten sind seit mehr als zwei Wochen über vier Millionen Soldaten, Polizisten und Freiwillige im Einsatz. Mit Sandsäcken und Schaufeln bessern sie Deiche und Dämme aus, die rund um die Uhr bewacht werden.
Am schwersten betroffen sind die Regionen entlang des Yangtse, der mit 6.300 Kilometer längste Fluß Asiens. 350 Millionen Menschen leben entlang des Stroms, der in China der „Lange Fluß“ heißt. Mit über 700 Nebenflüssen umfaßt sein Einzugsgebiet 19 Prozent der Landesfläche. In der Sechs-Millionen-Stadt Wuhan erreichten die gelbbraunen Yangtse- Fluten mit einem Wasserstand von 28,66 Meter in der letzten Woche den höchsten Pegel seit 1954. Das Hochwasserzentrum der Stadt kündigte an, daß am Oberlauf notfalls an sechs Stellen Deiche gesprengt werden müßten, um eine Überflutung der Stadt zu verhindern. Inzwischen hat sich die Lage in Wuhan etwas entspannt.
China wird im Sommer regelmäßig von großen Überschwemmungen heimgesucht, wenn die Regenzeit die Flüsse über die Ufer treten läßt. Schon von den alten Kaisern wurden besonders diejenigen verehrt, die wie der legendäre Yu als „Meister der Fluten“ sich um den Hochwasserschutz verdient gemacht hatten. Yu setzte man auf dem Berg Mang am Gelben Fluß ein Denkmal, zu dem alle chinesischen Herrscher pilgern, die sich als Bezwinger der Fluten profilieren wollen. Auch Mao Zedong ließ sich vor dieser Kulisse ablichten.
Im Laufe der Jahre hat die Intensität der Überschwemmungen jedoch zugenommen. „Der Konflikt um Raum zwischen Wasser und Menschen ist immer stärker zugunsten der Menschen entschieden worden“, sagt der chinesische Raumplaner und Staudammexperte Weilou Wang von der Uni Dortmund. Als Beispiel nennt er den Dongting-See westlich von Wuhan, einst Chinas größter See, der in den Yangtse mündet. Ihm dient der Dongting bei Hochwasser als Ausgleichsreservoir.
Aus den Lokalchroniken geht hervor, daß der See vor der Zeit der Ming-Dynastie (1368–1644) 14.000 Quadratkilometer groß war. Damals gab es durchschnittlich nur alle 83 Jahre eine Hochwasserkatastrophe. In der Ming- Zeit wurde die Fläche des Sees auf 6.200 Quadratkilometer reduziert. Es kam dann bereits alle 20 Jahre zu großen Überschwemmungen. Anfang der 80er Jahre betrug die Fläche des Sees nur noch 2.740 Quadratkilometer. 1989, 1990, 1991, 1993 und 1995 kam es zu Überflutungen, die allesamt wie die Überschwemmungen in diesem Jahr als „Jahrhunderthochwasser“ bezeichnet wurden.
Die Landgewinnung am Dongting ist kein Einzelfall. Ähnlich erging es auch dem Poyang-See zwischen Wuhan und Nanking, der auch als Auffangbecken für den Yangtse dient. Die beiden Seen wurden immer wieder verkleinert, um Anbauflächen fur die Landwirtschaft zu schaffen, die eine wachsende Bevölkerung ernähren muß. Aus dem gleichen Grund sind auch in der Provinz Hubei, die früher einer Seenplatte glich, zahlreiche Seen zugeschüttet worden.
Die Kanalisierung der Flüsse und der damit einhergehende Verlust der Auen sowie die zunehmende Versiegelung der Böden in den Städten hätten weiter zum Anstieg der Fluten beigetragen, erklärt Wang. Zudem hätten Abholzungen an den Berghängen an den Oberläufen der Flüsse die Speicherkapazität reduziert. 40 Prozent des Einzugsbebiets des Yangtse sind von Bodenerosion betroffen.
Zudem ist auch die Instandhaltung der Deiche ein Problem. Waren zu Maos Zeiten dafür die Volkskommunen zuständig, so lassen sich seit der Privatisierung der Landwirtschaft Ende der 70er Jahre die Bauern nicht mehr einfach mobilisieren. Für die großen Flüsse ist Peking zuständig, für die kleinen die Lokalregierungen. Sie investieren jedoch lieber in die lokale Wirtschaft als in Hochwasserkontrolle und Deichbau.
„Die Regierung vernachlässigt die Deichinstandhaltung, weil sie lieber in den Drei-Schluchten- Staudamm investiert“, sagt Wang. Mit dem größten Staudammprojekt der Welt will Peking die Überschwemmungen kontrollieren. Der Megadamm gilt als Lieblingsprojekt von Ministerpräsident Li Peng, einem gelernten Wasserbauingenieur. Er wolle sich damit wie die alten Kaiser ein Denkmal als Bezwinger der Fluten setzen, argwöhnen Kritiker, die das Projekt für ungeeignet zur Hochwasserkontrolle halten. Wang: „Das Hochwasser kommt nicht vom Oberlauf des Yangtse, sondern hauptsächlich von den Nebenflüssen unterhalb des Damms.“
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