: Geht es um die Wirtschaftspolitik der Bündnisgrünen, so sind sich Realos und Linke in der Partei ganz und gar nicht grün: je konkreter die Positionen der einen Seite, desto heftiger der Protest. Denn was soll man davon halten, wenn der Fina
Geht es um die Wirtschaftspolitik der Bündnisgrünen, so sind sich Realos und Linke in der Partei ganz und gar nicht grün: je konkreter die Positionen der einen Seite, desto heftiger der Protest. Denn was soll man davon halten, wenn der Finanzexperte der Grünen, Oswald Metzger, ein eigenes Sparpaket auflegen will, das dem Staat 12 Milliarden Mark einbringt? Der linke Flügel reagiert pikiert: Sie hätten es lieber, wenn sich eine „neue 68er Generation“ formiert, die dann für mehr soziale Gerechtigkeit kämpfen könnte. Wirtschaftsverbände beobachten den Realo-Trend bei den Grünen inzwischen mit Neugier. Der DGB übt dagegen harsche Kritik.
Wirtschaftsbegehrlichkeiten in Grün
Die Bosnien-Debatte ist geschlagen. Der Streit um die Nato- Osterweiterung ruht zunächst. Doch die Bündnisgrünen werden nicht müde auf der Suche nach neuen Konfliktfeldern, etwa wenn es um die Frage geht: Was ist grüne Wirtschafts- und Finanzpolitik? Erste Positionen sind hier abgesteckt – und sorgen innerparteilich prompt für Streit. Die Realos werfen dem linken Flügel vor, keine Ahnung vom Thema zu haben und lediglich ein eigenes machtpolitisches Süppchen zu kochen. Die Linken kritisieren ihrerseits den Verrat an grüner Politik und werfen der Realo-Fraktion vor, sich bei den Konservativen anbiedern zu wollen. Übervater Joschka Fischer steht zwar grundsätzlich auf seiten der Realos, fährt ihnen aber gelegentlich in die Parade, um die Partei mit dem neuen Kurs nicht zu überfordern.
Der Reizworte gibt es viele. Da ist von Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall die Rede, von der Lockerung der Kündigungsschutzregelung und Änderung der Ladenschlußzeiten. Angebotsorientierte Politik heißt das neue Schlagwort. Das hört sich nach Regierungskoalition an, kommt aber tatsächlich auch aus bündnisgrünen Reihen. Entsprechende Vorstellungen vertreten etwa der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, Oswald Metzger, und die wirtschaftspolitische Sprecherin Margareta Wolf. Ihr Reizwort heißt Ludger Volmer. Der ehemalige Fraktionssprecher stellte in diesem Sommer zusammen mit dem Europaabgeordneten Frieder Wolf ein Positionspapier vor, das wie ein Hilfeschrei klang. Achtung Leute, es gibt auch noch linke Politik bei uns, schien Volmer der interessierten Bevölkerung zurufen zu wollen. Die Ausführungen von Volmer und Wolf waren nicht neu. Mit ihrer Forderung nach einer internationalen Nivellierung von Steuern und einer Sonderabgabe für Reiche tingelt SPD-Chef Oskar Lafontaine schon seit Monaten durchs Land. Doch die Botschaft war klar: Es gibt noch Politiker bei den Grünen, die wollen den Schwerpunkt der Wirtschaftspolitik auf die Umverteilung von oben nach unten setzen.
Von seiten der Realos sind da andere Töne zu hören. So trat Margareta Wolf etwa mit einem Eckpunktepapier zur Förderung des Mittelstandes an die Öffentlichkeit. Darin fordert sie geänderte politische Rahmenbedingungen für einen effizienten Risikokapitalmarkt. Christine Scheel, die finanzpolitische Sprecherin der Grünen, folgte mit einem Papier zur Vermögens- und Erbschaftssteuer, das 4,5 Milliarden Mark in die Kassen bringen soll und wesentlich konkreter ist als alles, was bisher von der SPD zum Thema zu hören war. Und die umweltpolitische Sprecherin, Michaele Hustedt, überraschte mit ihrem Eckpunktepapier zur Ökosteuer, in dem es zur Freude der Wirtschaft darum geht, energieintensive Firmen von der Ökosteuer zu entlasten. Nach und nach steckten Abgeordnete bündnisgrüne Positionen ab. Das wurde Volmer und Frieder Wolf zu bunt.
Ihr Papier stieß wiederum bei den Realos auf Kritik. Oswald Metzger monierte, daß ein Teil derjenigen, die sich einmischten, „überhaupt keine Ahnung“ hätte. Ludger Volmer habe doch noch nie in einer wirtschafts- und finanzpolitischen Sitzung mitdiskutiert. „Die Linken werfen uns Knüppel zwischen die Beine“, beklagt Christine Scheel, „viele halten die ganze Zeit den Mund, und auf den Parteitagen stimmen sie für Anträge, die das Gegenteil bewirken.“ Und Margareta Wolf ist davon überzeugt, daß die Linken nach der Bosnien-Debatte ein neues Thema suchten und deshalb das Thema Wirtschaft zur neuen Flügeldebatte hochstilisierten.
Joschka Fischer hält sich indes zurück. Wenn ihn jemand auf Ludger Volmer anspricht, zuckt er nur mit den Achseln. Gleichzeitig ist nicht zu übersehen, wie er an seinen Linken leidet. Denn Wahlen, so Fischers Credo, werden nur in der Mitte gewonnen. Und dieses Ziel ist mit den Positionen der Linken nicht zu machen.
Für die Parteilinken gleichen die Vorschläge von Volmer und Wolf dagegen einem Befreiungsschlag. Viele von ihnen fühlen sich vom Eifer der Realos überfahren. Sie bemängeln, daß sie nicht rechtzeitig über die Papiere informiert würden. Eine programmatische Debatte finde ohnehin nicht statt. Fassungslos stehen sie Überlegungen von Oswald Metzger gegenüber, ein eigenes Sparpaket mit einem Volumen von etwa 12 Milliarden Mark zu erarbeiten und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf 90 Prozent zu beschränken. Erfahren haben sie von diesem Vorstoß aus der Zeitung. „In so einer Politik finde ich mich nicht wieder“, meint da die Bundestagsabgeordnete Annelie Buntenbach.
Daniel Kreutz, der arbeits- und sozialpolitische Sprecher der NRW-Grünen, denkt, „daß die Realos der These von der Gefährdung des Wirtschaftsstandorts Deutschland aufsitzen und sich deswegen für verteilungspolitische Begehrlichkeiten öffnen“. Statt der breiten Masse etwas wegzunehmen, müsse es darum gehen, bei den Reichen anzusetzen. Annelie Buntenbach konkretisiert das: In Deutschland gebe es 4,65 Billionen Mark privates Vermögen. Den Reichsten, die nur 5 Prozent der Bevölkerung stellen, gehöre von diesem Vermögen ein Drittel. Dieses Drittel gelte es zu schröpfen.
Realo Oswald Metzger kontert sofort: Von oben sei nicht viel Geld zu holen. Eine einprozentige Steuererhöhung bringe bei den Spitzenverdienern nur eine Milliarde Mark, bei den unteren Einkommen dagegen sechs Milliarden.
Für Daniel Kreutz ist das Volmer/Wolf-Papier ein „Anstoß für den linken Flügel“, endlich gegenzusteuern. Doch seine Vorstöße sind wenig konkret. Er will eine „gesellschaftliche Aufbruchsituation“ forcieren, „eine öffentliche Mobilisierung“, am liebsten eine „neue 68er Generation“, die für mehr soziale Gerechtigkeit kämpft. Und die Bundestagsabgeordnete Ursula Schönberger stellt die Frage, ob ein erhöhter Lebensstandard nur durch die monetäre Betrachtungsweise erreicht werden kann. Wohlergehen bemesse sich nicht nach dem Zweitwagen, aber möglicherweise danach, ob es weniger Allergien gebe.
Für Oswald Metzger sind solche Töne eher Ballast auf dem Marsch zu einer „Partei der politischen Machbarkeit“. Er weiß, daß er dabei auf einem schmalen Grat wandert. „Die Partei hat Angst, in einen wirtschaftspolitischen Mainstream zu geraten“, sagt Metzger, „da müssen wir aufpassen, daß wir den Bogen nicht überspannen.“ Markus Franz, Bonn
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