: Mit dem Beil an der Kunst
■ Alaskas Meisterschnitzer fertigt im Bürgerpark einen indianischen Totempfahl für das Überseemuseum
Regen macht ihm nichts aus. Auch das Blitzlichtgewitter der Fotografen bringt ihn nicht aus dem Rhythmus. Unaufhaltsam bearbeitet Alaskas Meisterschnitzer Nathan Jackson im Bürgerpark einen 13 Meter langen Zedernbaum. Schlag um Schlag beitelt er sich mit seiner Krummaxt in indianische Geschichte, in Mythen und Legenden zurück. Adler, Bär und Wolf – Nathan Jackson schnitzt einen Totempfahl.
Was macht ein Totempfahl im Bürgerpark? Soll dieser über die „grüne Oase im Herzen der Stadt“ wachen? Kaum. In vier Wochen, wenn Nathan Jackson und Sohn Stephen sämtliche Details des Kunstwerkes ausgearbeitet haben, wird der Totempfahl zum Überseemuseum transportiert und dort neben dem Portal aufgestellt.
Es ist bereits der zweite Totempfahl im Bestand des Überseemuseums. 1896 hatte Gründungsdirektor Hugo Schauinsland jenen 4,85 Meter hohen, prächtig bemalten Pfahl erworben, der seit Bestehen des Museums die BesucherInnen aus aller Welt erstaunt. Er stammt aus dem Inneren eines Häuptlingshauses der Haida-Indianer von Skidegate auf den Queen Charlotte Islands von British Kolumbien. Doch nicht allein den Totempfahl brachte Hugo Schauinsland nach Bremen, er erwarb zusätzlich eine reichhaltige Sammlung weiterer Haida-Kunstgegenstände für das damals neue Überseemuseum im Bremen.
In der Folgezeit erweiterte sich der Bestand um eine große Tlingit-Sammlung. Die Tlingit gehören neben den Haida-Indiander zu den größten einheimischen Gruppen Alaskas. Etwa die Hälfte der Ureinwohner sind Tlingit-Indianer. Zu ihnen gehört auch Nathan Jackson. Er wurde 1938 bei Haines geboren, einer Stadt, zu der Bremen seit 1881 in besonderer Beziehung steht: Haines wurde von den Gebrüder Krause gegründet, die 1881/82 die berühmte Expedition der geographischen Gesellschaft zu Bremen an die Nordwestküste durchführten. Von dem, was die Brüder Krause von ihrer Reise mitbrachten, sollte später das Überseemuseum profitieren.
Ein Totempfahl aber fehlte bis dato in der Tinglit-Sammlung. Diesen Wunsch erfüllte sich das Überseemuseum jetzt zum eigenen hundertjährigen Jubiläum. Unterstützt von der „Stiftung wohnliche Stadt“ konnte man den international renommierten Künstler Nathan Jackson für das Projekt gewinnen. Gegen ein Honorar von 41.000 Dollar erklärten er und sein Sohn sich bereit, einen großen Totempfahl in Bremen fertigzustellen.
Die Arbeit begann allerdings bereits vor Wochen in der Werkstatt des Künstlers bei Ketchikan in Alaska. Der riesige Zedernbaum wurde begradigt, die Holzflächen vorbereitet. Auch die Planungen für die konkrete Gestaltung selbst nahm der Meister zuhause vor. Dabei galt es, bestimmte Regeln zu beachten: Die Tlingit waren traditionell matrilinear organisiert und in zwei Gruppen, die „Raben“ und die „Adler“ untergliedert, die wiederum untergeordnete Clans aufweisen. Niemals darf innerhalb einer Gruppe geheiratet werden.
Als „Rabe“ des Lachs-Clans ist es Jackson streng verboten, eines dieser Tiere auf einem Totempfahl darzustellen. So ergab sich, daß ein Bär und ein Wolf den unteren Teil des Pfahls einnehmen werden, und oben auf der Spitze ein Adler thront. Den Kopf des großen Vogels hat Jackson bereits in Alaska gearbeitet. Ebenfalls die Flügel, die der Meister sicherheitshalber im Flugzeug transportierte. Der Rumpf des Wappenpfahles hingegen kam auf demselben Weg nach Bremen wie der erste Totempfahl: per Schiff. 1896 organisierte die Norddeutsche Lloyd den komplizierten Transport, 1996 war es die Nachfolgeorganisation Hapag Lloyd.
Die Totempfähle von Jackson sind mittlerweile in der ganzen Welt berühmt. Sie sind im japanischen Kobe, in Salt Lake City, in New York, in vielen Städten Amerikas zu bewundern. Ein Exemplar befindet sich im Londoner Hormigan Museum. Das europaweit zweite ziert nun also demnächst den Museumsvorplatz von Bremen. Ob der Wappenpfahl so nahe dem Bahnhof eine Chance hat, frei von Graffitis zu bleiben? Der Tradition zufolge wird ein Totempfahl nur ein einziges Mal bemalt, bevor er nach etwa 70 Jahren naturgemäß erste Verwitterungsanzeichen zeigt. Bleibt zu wünschen, daß sich die Sprayer dieser indianischen Tradition beugen. dah
Nathan und Stephen Jackson sind es gewohnt, beim Arbeiten ausgefragt zu werden. Wer sie im Bürgerpark (gegenüber vom Maritim-Hotel) besuchen will, ist eingeladen. Mit Sicherheit bei der Arbeit sind sie zu folgenden Zeiten: di - fr von 10 bis 12 Uhr und 14 bis 16 Uhr, sa 15 - 17 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen