: Wo Luft ist, will Sound sein
■ Der Musiker Joao Ricardo baut an einem Orchester aus Altgeräten, läßt Blechgetier hoppeln und erzählt, erzählt, erzählt
Mein konventionelles Instrument ist ein Tenorsaxophon. Ein Sax Tenor. Aber das spiele ich nicht mehr. Die Leute fragen mich immer, João Ricardo, was machst du, welches Instrument spielst du jetzt? Staubsauger, sage ich dann. Staubsauger?! sagen sie – toll, spiel' ich auch. Staubsauger! sage ich dann wieder. Manchmal denke ich mir, Mensch, ein Foto müßte ich haben und es den Leuten zeigen: ,Du lachst? Guck mal her!‘ – aber ich will kein Foto.“
João Ricardo de Barros Oliveira aus Portugal, 38 Jahre alt, seit acht Jahren Musiker und Künstler in Berlin. Wir sitzen in der Küche seiner Kreuzberger Wohnung und trinken Kaffee. Das heißt: Ich trinke Kaffee, er redet. „Als Kind, weißt du, in Portugal, habe ich meine Dinge immer selber gebaut. Spielzeuginstrumente. Ich habe am Strand gewohnt, und wenn Sachen gekommen sind, habe ich gebaut. Und der Klang war ein Ding. Ich habe gebaut, und immer spielte dabei der Sound eine Rolle. Ich habe gebautgebautgebaut, und irgendwie habe ich weitergebaut. Taktaktak, langsam, weißt du, baubaubau ich langsam. Und ich bau'. Ich seh etwas, und ich bau'. Instrumente. Das ist in mir drin.“
Das ist nicht nur in ihm drin, das ist überall. Auf dem Klo, in der Küche, über dem Bett: recycelte Instrumente, Bilder, Objekte; verkohltes, zerbeultes, verschraubtes Material. „Manchmal habe ich die Schnauze voll von dem Schrott, und ich sage ,Scheiße‘. Einmal habe ich alles weggeschmissen. Super. Super nice. Dann habe ich ein Sofa auf der Straße gefunden und repariert, ein Sofa, einen Fernseher, und ich hab' mich in das Sofa gesetzt, ferngesehen – ah, jetzt fühle ich mich sehr gut. Tolltoll. Dann habe ich einen Film gesehen und mir einen Tee gemacht – das ist ein Leben! Aber, ein paar Tage später lag da auf der Straße so ein Ding. Ich geh' weiter, ich komm' noch mal zurück, gucke, gucke von der Seite – und nehme das Ding mit nach Hause. Sofa: weg. Fernseher: weg. Das Ding braucht Platz. Es ging wieder los. Was ich sagen will: Das ist mein Leben.“
Halt die Luft an, João Ricardo! Das ist der Stoff, aus dem man Biographien macht. Ein bißchen Anderssein, ein bißchen Immerschon und dann das Heute. João Ricardo, wie gesagt, seit acht Jahren in Berlin, Auftritte im Tacheles, bei „Faces 'n' Brains“ im Tränenpalast, auf der Kunst-Biennale in Cerveira in Portugal, beim „Festival Gamlebyen“ in Oslo, in Barcelona zum „Marato creació & reciclatge ,Drap Art‘“. Mit Bob Rutman, Suguru Goto, Art Guerilla. Und Natalia Pschenitschnikowa. „Kennst du nicht? Macht nichts.“ Fragen nach den Kollegen interessieren João Ricardo kaum. Sein Geld verdient er mit Workcamps, ein bißchen Privatunterricht. So wie alle im Jazzgewerbe.
Als alter Hase nennt er auch ein paar Begriffe sein eigen: Musik- Skulptor sei er, polaroid seine Auffassungsgabe, „Ich sehe was, pakpuii, schon ist es Bild.“ Das hat was vom Picassoschen Findegestus. Der Müllcontainer vom Schwesternheim um die Ecke am Urban ist seine Fundgrube. „Täglich gehe ich da vorbei. Das ist mein Jazzcontainer, meine Enzyklopädie. João Ricardo, sage ich zu mir, bist du wahnsinnig? Aber wahnsinnig ist, was die da alles wegschmeißen.“ „Objets trouvés“ nennt er die Sachen, aber das sind sie nicht: ein Sterilisierungsbehälter als Klangkörper, Kinderbettengestänge, zwei Federn, ein kleiner Eierschneider für die Saiten – keine Dinge, sondern jedes für sich ein weggeworfenes Klangfragment, das er zu Hause verschraubt: „Mil Fontes“ heißt die Figur, die daraus entstanden ist – ein Objekt, überladen mit Accessoires.
João Ricardo ist ziemlich sympathisch. Schmal, groß, gutaussehend und authentisch in seinem Wunsch zu gefallen. Seine Zweizimmerwohnung ist klein. Im Flur steht eine Wanduhr, in den Zimmern warten kalt lächelnd die Instrumente. Blankgeputze Metallstücke, die zu fragen scheinen: Sind wir nicht prächtig? Das Orchester macht Siesta. Wie schön! möchte man rufen, vor soviel erstarrter Musik, aber schön ist das nicht. Keine Kunst mehr und noch nicht Musik, warten Klangkörper auf ihre Erlösung. João Ricardo, ruf uns beim Namen! Schon streicht er wie nebenher an seinen Geschöpfen vorbei, wo Luft ist, will Sound sein. Drei Eisenringe an Marmor – ein alter Notizpapierhalter aus den Siebzigern quält vibrierend eine Tonleiter hervor, als trüge er sie im Leib.
„Ich habe nie eine Ausstellung gemacht. Warum nicht? Keine Ahnung. Ich sehe meine Sachen in so einer Ausstellung nur noch statisch. Meine Instrumente sind da nicht mehr Musik. Nicht mehr Poesie, nicht mehr Sound, Bewegung. Da stehen sie, steril, und die Leute gucken, sie sagen: Ah, schön!, und ich fühle mich schlecht. Ich bin kein Sammler.“ Ich frage ihn, ob er auch mal etwas wegschmeißt. „Ich schmeiße auch weg. Aber nur, was keinen, wie kann ich sagen, was keinen Brauch hat. Ich schmeiße nur weg, was ich nicht baue, benutze. Meine Instrumente nenne ich mutante Transformatoren. Sie verändern sich dauernd. Ich bin keine Fabrik. Ich bin ein Bauer. Ich schraube seit zwanzig Jahren, aber ich habe trotzdem nicht viel Instrumente. Weil ich immer weiter an ihnen baue, weil ich sie im Taxi vergesse, weil ich verschenke.“
João Ricardo flitzt durch seine Wohnung, läßt in der Küche drei Blechfrösche springen und schafft sie dann rasch wieder beiseite. Die Welt ist alles, was sich bewegt. Und was zu hören ist. Aus seinem Staubsauger, auf der Bühne, bläst der Musiker Obertöne, Sound auf der Schwelle zur Stimme. Sein Orchester erlöst er nicht durch den Namen, sondern erst durch das Pick-up, den Stromanschluß. „Kulti Animal“ heißt der Budenzauber, mit dem João Ricardo durch Berlin ziehen möchte, die Aufmerksamkeit, die er erntete, wäre nicht Kontemplation, sondern Staunen.
In seiner Wohnung zirpen zwei Grillen. Ebenfalls aus Blech. Das Bellen eines Plüschhundes gesellt sich dazu. Noch einer, noch einer. Ein Plastikcowboy reitet vorbei, Hühner gackern, Kaninchen hoppeln, ein Hahn kräht. Vom Kinderkarussell winken Spielzeugkinder, süß weht die Melodie herüber, ein Gummiclown quäkt „La Bamba“. „Kommen Sie, kommen Sie!“ macht sich João Ricardo zum Animateur, „Caramel, Schokolade! Ah, Schokolade, willst du Schokolade?! Siehst du, so stehe ich da und rundherum meine Sachen. Das Karussell. Zuerst habe ich das Karussell gekauft. Warum habe ich das Karussell gekauft? Dann habe ich die Grillen gekauft. Und den Typen mit seinem Pferd. Und dann die Hunde. Kaninchen. Ich würde gerne mit allen zusammen was machen. Und dazwischen stehe ich. Schreie Caramel! und singe. Ich singe wunderschön.“ Fritz v. Klinggräff
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