: Kein Fall für Franz Kafka
Das Weißenseer Bürgerbüro bietet seit 1993 Verwaltung aus einer Hand: 44.000 Menschen waren bereits im Sozial-, Wohn- und Ratschlagsbüro. Mehr und mehr wird es ein Bürgerhaus ■ Von Christian Füller
Frau Greulich steht am Empfangstresen und macht ihrem Namen keine Ehre. Die Mitarbeiterin des Weißenseer Bürgerbüros ist die personifizierte Hilfsbereitschaft. Sie soll nur für ihre Kunden dasein, obwohl hier gar niemand etwas kaufen will. Es sind Behördengänge, die die Weißenseer seit drei Jahren ins Kulturhaus „Peter Edel“ führen.
Dem „Peter Edel“ ist die Amtsstube nicht anzusehen. Das Kreiskulturhaus gehörte früher den Auftritten von DDR-SängerInnen. Auch jetzt noch beherbergt es eine Bühne, das italienische Restaurant „Il Lago“ ist da – und das Bürgerbüro Weißensee. Juristisch ist das Bürgerbüro eine Außenstelle des Bezirksamtes; faktisch ein Großraumbüro mit viel Grün. Kinder können an einem weißen Tischchen spielen. Und die Großen sollen hier von einem ersten greifbaren Ergebnis der Perestroika in der Berliner Bürokratie profitieren: dem Dienstleistungsunternehmen Bürgerbüro, das schnell, freundlich und aus einer Hand bedient.
„Sozialamt, das hat so was Offizielles“, beschreibt die ehemalige Sozialhilfesachbearbeiterin Inge Guzmann die Hemmschwelle, die viele haben. Ins Bürgerbüro traue man sich eher rein. „Ich wollte nur mal so fragen“, heiße es dann oft, erzählt die jetzige Büroleiterin Guzmann. Mit dem einen oder anderen sitzt die resolut-freundliche Frau dann schnell im „Glaskasten“, dem einzigen abgetrennten Teil des Großraumbüros. Dort werden vertrauliche Bürgerberatungen durchgeführt. Dort steht auch das Terminal für die Eingabe datenrechtlich geschützter Informationen.
„Ich kann es auf den Tod nicht ausstehen, wenn jemand nicht zuständig oder unhöflich ist“, stellt Inge Guzmann klar. Allzuständigkeit ist das Prinzip im Bürgerbüro. Jede und jeder an den vier Bearbeitungsplätzen soll alles können: eine Lohnsteuerkarte ausstellen, Wohnberechtigungsscheine bearbeiten oder Anfragen ans Bezirksamt weiterleiten. Das Bürgerbüro- Team besteht aus Allroundern, anders als in 21 anderen Bezirken und im Gegensatz zu früher, als Inge Guzmann ausschließlich für Sozialhilfe zuständig war und Gabriele Greulich nur Wohnberechtigungsscheine bearbeitete. Die 22jährige Bianca Born ärgert sich im voraus, weil für sie keine Stelle im Bürgerbüro frei ist. „Ich bin sehr traurig, daß ich wieder gehen muß“, seufzt die junge Absolventin der Verwaltungsfachhochschule über ihre verordnete Rückkehr in den grauen Beamtenalltag der Zuständigkeiten.
Innenressort zufrieden, Rechnungshof kritisiert
Das Innenressort lobt in einem Erfahrungsbericht die wichtigsten Ziele des Bürgerbüros als „voll erreicht“: Mühsame Behördenmarathons würden erspart. Der Bürger habe nur noch einen Ansprechpartner. Wünsche würden schnell und unbürokratisch erledigt. Das Büro zählte seit seiner Gründung im Juli 1993 über 44.000 BesucherInnen – bald so viele, wie Weißensee EinwohnerInnen hat. Ein Viertel der 4.600 AnfragerInnen zwischen April und Juli dieses Jahres kam wegen eines Wohnberechtigungsscheins. Rund 1.000 wollten sich schlicht ein Dokument beglaubigen lassen. Je 700 fragten nach Wohngeld oder Sozialhilfe.
Den Rechnungshof konnte diese Bilanz nicht überzeugen. Das Büro habe das Kriterium der Bürgernähe nicht erfüllt, schrieben die Hüter des Landeshaushalts. Das Bürgerbüro sei zu weit vom Bezirksamt entfernt. „Hier geht selten jemand raus, ohne daß wir ihm helfen konnten“, schwärmt hingegen Bianca Born. Ihre Euphorie kommt von der Resonanz, die sie im Umgang mit den Anfragenden spürt. Ein Bauarbeiter strahlt, weil er schon nach wenigen Minuten alles erledigt hat und wieder gehen kann. Eine Frau, die gerade noch wie ein Hamster die Infothek durchwühlt hat, ist überrascht: Teamchefin Guzmann hat ihr eine dicke Broschüre über das Bezirksamt in die Hand gedrückt. „Da steht alles drin, was Sie wissen möchten.“ Nichts ist hier zu sehen von den kafkaesken Warteschlangen deutscher Arbeits- und Sozialämter. „Hier kriegt man sogar ein Lächeln umsonst“, freut sich der 24jährige Thomas, der sich nur schnell die Telefonummer eines Bezirksbeamten abgeholt hat.
Das Bürgerbüro ist das einzige erfolgreiche Teilprojekt des „Modellbezirksamtes“ Weißensee, wie es der damalige Innensenator Heckelmann (CDU) 1991 propagierte. Die Verwaltung des Nordbezirks sollte gläsernes und automatisiertes Vorbild für alle Stadtteile werden. Das Modellbezirksamt dümpelte. Aber das Bürgerbüro begann zu leben. Die aus den Fachabteilungen abgestellten MitarbeiterInnen hauchten ihm schnell den Odem des Unkonventionellen und Pragmatischen ein.
„Niemand wollte uns glauben, daß eine Kollegin alles machen kann“, erinnert sich Fred Engel an die Bedenkenträger vor allem aus den Westbezirken. Engel, der federführende Amtsleiter, stellte seine Überzeugungsversuche schnell ein. Die stirnrunzelnden Westkollegen, die inzwischen zwecks Nachahmung nach Weißensee pilgern, haben es schwarz auf weiß: Bereits nach einem halben Jahr hätten die Weißenseer sich in allen Bereichen zurechtgefunden. Sogar in Sozialhilfe sind sie firm. Eine Ohrfeige für die Sozialamtsleiter in der ganzen Bundesrepublik, die ihr Spezialwissen vor der Auslagerung in Bürgerämter schützen wollen: Niemand sonst könne Sozialhilfeberatung machen, erklärten sie. „Wir könnten aber keinesfalls alle im Sozialamt arbeiten“, rückt Teamchefin Guzmann gerade. Das Bürgerbüro sei lediglich in der Lage, eine Checkliste mit den Betroffenen durchzugehen, welche Kriterien sie zu Anspruchsberechtigten werden lassen. Den Rest müssen weiterhin die Fachbeamten erledigen. Auch nicht- oder halbstaatliche Institutionen nutzen das Büro: Rentenberatung findet hier statt. Das Arbeitsamt baut ein kleines „Berufsinformationszentrum“ auf. Der Justitiar des Arbeitslosenzentrums gibt zweimal pro Monat im Bürgerbüro Ratschläge.
Auch die Politik findet den Weg hierher. Am achteckigen Pausentisch von Inge Guzmann und ihren sechs KollegInnen hält Bezirksbürgermeister Gert Schilling (SPD) hin und wieder eine Bürgersprechstunde. Als es um die Neubauten im Weißenseer Stadtteil Karow-Nord ging, wartete vor dem Bürgerbüro erstmals eine Schlange. Vom Bebauungsplan bis zu Kleinigkeiten wurde an diesem Tag alles besprochen mit dem Bürgermeister und dem Vorsitzenden der Weißenseer Wohnungsbaugesellschaft. „Da waren wir gar kein Bürgerbüro mehr“, meint Amtsleiter Engel, „sondern eine Art Bürgerhaus.“
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