: Polizeistaat oder Bananenrepublik
In Weißrußland will Präsident Alexander Lukaschenko seine Machtfülle ausbauen. Mit miesen Tricks und brutaler Härte geht der alte Apparatschik gegen die wachsende Opposition vor ■ Aus Berlin Barbara Oertel
Weißrußlands Präsident Alexander Lukaschenko ist sich wirklich für nichts zu schade: Vor wenigen Tagen kündigte er ein Demontrationsverbot für die Zeit der Ernte an. Schließlich könne es nicht sein, daß einige arbeiteten, während andere demonstrierten, noch dazu gegen die Regierung.
Für seinen neuen Vorstoß hat Lukaschenko gute Gründe. Denn für den Apparatschik, der das Land seit seinem Amtsantritt im Juli 1994 mit eiserner Hand regiert, wird es allmählich ungemütlich. Erst am vergangenen Wochenende waren in der weißrussischen Hauptstadt Minsk anläßlich des Unabhängigkeitstages rund 15.000 Menschen auf die Straße gegangen und hatten ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten sowie die Freilassung aller politischen Gefangenen gefordert.
Grund für die neuen Proteste ist die Aufforderung Lukaschenkos an das Parlament, die Verfassung zu ändern, was de facto einer völligen Entmachtung aller anderen Staatsorgane gleichkommt. So soll die Amtsperiode des Präsidenten von bisher fünf auf sieben Jahre verlängert werden. Fortan soll es eine zweite Parlamentskammer geben, dessen Mitglieder der Präsident ernennt. Auch die Hälfte der Mitglieder des Verfassungsgerichts möchte sich Lukaschenko künftig lieber selbst aussuchen.
Für den Fall, daß das Parlament nicht mitspielt, hat der ehemalige Chef einer Kolchose schon Vorsorge getroffen: Lukaschenko kündigte ein Referendum an, und zwar für den 7. November, den Jahrestag der Oktoberrevolution.
Einen Volksentscheid dürfte Lukaschenko wohl auch brauchen. Denn mittlerweile hat sich das Parlament, der Oberste Sowjet, der erst im vergangenen November nach vier Wahlgängen zustande kam, mehr und mehr zu einem Bollwerk der Opposition gegen die autoritäre Politik des Präsidenten entwickelt. Das Regime Lukaschenkos sei schlimmer als das kommunistische, hatte unlängst Parlamentspräsident Semon Scharetzki verkündet.
Und in der vergangenen Woche hatten mehrere Oppositionsparteien den Präsidenten scharf kritisiert. Lukaschenko steuere das Land in den Abgrund und ruiniere die Wirtschaft. Menschenrechtsverletzungen seien in Weißrußland die Norm, und der Präsident selbst verletze die Verfassung und die Gesetze des Landes. Die geplante Verfassungsänderung habe kein anderes Ziel, als eine Person für viele Jahre mit ungeheuerer Macht auszustatten und ein totalitäres Regime zu errichten.
Mittlerweile dürfte auch Moskau die jüngsten Entwicklungen im Nachbarland mit leichtem Gruseln verfolgen. Noch am 2. April war der Unionsvertrag über eine engere Zusammenarbeit beider Staaten im Kreml von dem russischen Präsidenten Boris Jelzin und seinem weißrussischen Counterpart mit einem feuchten Bruderkuß besiegelt worden.
Nach einem Treffen mit Lukaschenko und den Staatschefs von Kasachstan und Kirgisien im Mai in Moskau ließ Jelzin allerdings verlauten, er habe Lukaschenko eine kleine Lektion in Demokratie erteilt. Zwei Wochen vorher hatte der weißrussische Diktator eine Kundgebung anläßlich des Jahrestages von Tschernobyl zusammenknüppeln und 200 Demonstranten, größtenteils Anhänger der oppositionellen Volksfront (NF), verhaften lassen. Unter Umgehung aller Gesetze und ohne die Möglichkeit, einen Anwalt zu konsultieren, bleiben mehrere Gefangene über einen Monat in Haft. Zwei NF- Mitglieder, Juri Kadyka und Wjatscheslaw Siuchyk, wurden erst nach einem zweiwöchigen Hungerstreik wieder auf freien Fuß gesetzt. Mitte Mai ließ der weißrussische Präsident vier Vertreter der polnischen Gewerkschaft Solidarność verhaften und abschieben, die in der Nähe von Minsk vor Arbeitern eine Rede gehalten hatten. Der Vorwurf lautete auf Einmischung in die inneren Angelegenheiten Weißrußlands.
Auf russischer Seite hat Lukaschenko nur noch in einer Partei Freunde: der der Kommunisten. Deren Mitglied und Vorsitzender der Parlamentskommission für Sicherheit, Wiktor Iljuchin, hat jetzt den wahren Schuldigen für den Aufruhr in Weißrußland ausgemacht: Den amerikanischen Geheimdienst. Dieser bereite nämlich von Polen aus Provokationen auf dem Territorium Weißrußlands vor, teilte Iljuchin vor ein paar Tagen mit. Bei einer der nächsten Demonstrationen mit bis zu 30.000 Teilnehmern sei sogar die Ermordung von mehreren Führern der weißrussischen nationalen Bewegung geplant, wußte Iljuchin zu berichten. Und das alles nur, um Lukaschenko zu diskreditieren und zu stürzen. Auch die Begründung lieferte der KP-Mann gleich mit: Bestimmte Kreise hätten ein Interesse daran, den Integrationsprozeß zwischen Rußland und Weißrußland zu behindern. „Wir müssen Weißrußland gegen die Diktatur verteidigen und verhindern, daß das Land zu einem Polizeistaat oder einer Bananenrepublik wird“, hatte der Oppositionspolitiker Stanislaw Bogdankewitsch nach der jüngsten Demonstration gesagt. Der Vorsitzende der Nationalen Front, Senon Posniak, seit langem Opfer von Schikanen, wird für sein Land in der nächsten Zeit vor Ort nichts tun können. Er hat jetzt, aus Angst vor weiterer Verfolgung, in den USA politisches Asyl beantragt.
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