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Ein Mißverständnis – oder die Rache der Justiz?

■ Polizeiopfer Dialle D. wird wegen Körperverletzung der Prozeß gemacht

Der angebliche Täter hatte selbst die Polizei gerufen. „Ich wollte nur eine Entschuldigung von dem Jungen hören. Er hatte mich Nigger genannt“. Verständnislos schüttelt Dialle D. den Kopf. „Dann kamen Nachbarn vorbei. Einer richtete eine Pistole auf mich. Und jetzt sitze ich hier“. Hier: Das ist die Anklagebank des Amtsgerichtes. Darauf mußte der Senegalese gestern Platz nehmen, als gegen ihn ein Strafverfahren wegen Körperverletzung und Nötigung eröffnet wurde.

Am Abend des 27. Februar 1995 soll Dialle D., so schildert es die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift, den damals 14jährigen Christian K. getreten, geschlagen und auf die Knie gezwungen haben. Um Entschuldigung habe Christian ihn in dieser Haltung anflehen müssen. Doch wofür? Er habe nur eine Liedzeile aus einem Rap-Hit gesungen, beteuert Christian als Zeuge vor Gericht: „They took my ring, they took my Rolex“. „Nigger“ beschimpfte er mich, hält der Angeklagte dagegen, und: „Ich habe ihn nur kurz festgehalten, er hat sich entschuldigt, dann ließ ich ihn los.“

Beide Beteiligte waren an jenem Abend in Begleitung, für beide Versionen gibt es ZeugInnen. Ob vielleicht in der Liedzeile, die Christian gesungen haben will, das Wort „Nigger“ auftauche, versucht Richter Gero Nix vorsichtig eine dritte Version zu entwerfen. Nein, da ist sich Christian ganz sicher – obwohl im Song gleich eines der nächsten Wörter nach dem angeblich gesungenen Satz „Nigger“ lautet. Nix hat den Song vor dem Prozeß transkribieren lassen.

Ein Mißverständnis zwischen aufgebrachten Beteiligten scheint vorzuliegen, daß an sich kaum einen Prozeß wert wäre. Doch in diesem Fall heißt der Angeklagte Dialle D. Der Senegalese hatte seinerzeit den Hamburger Polizeiskandal ins Rollen gebracht. „Jetzt will mich die Polizei als kriminell abstempeln“, schätzt Dialle D., der von „Revanche“ spricht. Denn nachdem im September 1994 die taz über seine Mißhandlung durch Polizisten berichtete, trieb das nicht nur den damaligen Innensenator Werner Hackmann in den Rücktritt. Zahlreiche weitere Polizeiopfer meldeten sich, etliche zuvor lautlos eingestellte Ermittlungsverfahren gegen Beamte wurden neu aufgerollt, ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuß versucht sich noch immer an Aufklärungsarbeit.

Der Verdacht, daß das Interesse an einer strafrechtlichen Verurteilung Dialle Ds. stärker als bei einem x-beliebigen Angeklagten sein könnte, wurde am ersten Prozeßtag zumindest nicht widerlegt. Als der dritte Zeuge der Aussage von Christian K. widersprach, schlug Richter Nix die Einstellung des Verfahrens vor. Der Staatsanwalt jedoch lehnte dieses Ansinnen ab.

Der Prozeß wird am 3. September fortgesetzt. Elke Spanner

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