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Taufa 'ahau muß sein Reich teilen

Das ist Olympia, wie es Menschen lieben: Der Boxer Paea Wolfgram holt die allererste Medaille für Tonga. Gewinnt er nun auch noch Gold, könnte ihm sein König den halben Inselstaat schenken  ■ Aus Atlanta Matti Lieske

Ausnahmsweise war es mal nicht ein US-Sportler, der eine Wettkampfstätte in Atlanta zum Kochen brachte. „Tonga! Tonga!“ dröhnte es durch das Alexander Memorial Coliseum. Selbst das kroatische Grüppchen, das eigentlich noch um seinen just ausgeschiedenen Boxer trauerte, stimmte in die Sprechchöre ein. Die Ovationen galten dem Superschwergewichtler Paea Wolfgram, der das Kunststück fertigbrachte, im Viertelfinale des Boxturniers den Kubaner Alexis Rubalcaba zu bezwingen und Bronze sicher hat.

Das ist Olympia, wie es die Menschen lieben. Da kommt ein 25jähriger nach Atlanta, der nie einem Kontrahenten von außerhalb des Pazifikraumes gegenübergestanden hat, schlägt den Favoriten und holt die allererste olympische Medaille für sein Inselkönigreich. „Es wäre der größte Schock für Olympia, wenn der Tongaer die erste Runde übersteht“, hatte die New York Times noch vor zehn Tagen geschrieben – Wolfgram schnitt sich den Artikel aus und klebte ihn an seinen Schrank.

Inzwischen hat er bereits die dritte Runde hinter sich, und Gold ist keine Utopie mehr, obwohl er sagt, daß bereits der Kampf gegen Rubalcaba „ein Goldmedaillenkampf“ war. „Die Kubaner haben unglaubliche Boxer und einen exzellenten Trainer, der Schwächen beim Gegner sofort erkennt.“ Natürlich hätten sie ihn total unterschätzt, aber das sei verständlich: „Schließlich haben sie die Geschichte auf ihrer Seite.“

Zunächst gab niemand im Saal einen Pfifferling auf den Tongaer, der in etwa die Figur seines Königs Taufa 'ahau Tupou IV. besitzt, welcher ihm im übrigen samt Premierminister schon diverse Glückwünsche gefaxt hat. Neben dem muskelbepackten Modellathleten Rubalcaba wirkte Wolfgram wie Meatloaf neben Schwarzenegger. Ob er sich gefürchtet habe, als er den Kubaner sah? „Ich konnte ja schlecht aus dem Ring rennen, also mußte ich versuchen, so gut es ging zu kämpfen.“ Er fing sofort damit an. Ehe sich Rubalcaba versah, war er von dem für sein Gewicht extrem schnellen Wolfgram zweimal schwer getroffen worden, und der Mann aus Tonga bemerkte mit Genugtuung, „daß sich sein Gesichtsausdruck veränderte“.

Erstaunlicherweise begann Paea Wolfgram erst vor fünf Jahren mit dem Boxen. Bis zum Alter von 20 spielte er Rugby. Zufällig geriet er in Auckland, wo er studierte, in Kontakt mit seinem jetzigen Trainer Tony Fulalangi. Der hatte 1989 sogar gegen George Foreman geboxt. „Foreman boxte gegen ihn“, korrigierte Wolfgram feixend ein. „Er hat mich in der zweiten Runde gestoppt“, gab der Coach zu. Fulalangi erkannte das Boxtalent des Jünglings, der seither 25 Kämpfe bestritten, dreimal verloren, aber zwei Gegner glatt aus dem Ring gehauen hat.

Das hätte er in der zweiten Runde auch fast mit Rubalcaba gemacht. Der Kubaner ging gerade daran, sein Punktekonto zu verbessern, da holte ihn Wolfgram mit einem plötzlichen linken Haken von den Beinen. Es handelte sich um einen Körpertreffer wohlgemerkt, der den Kubaner nicht etwa zu Boden streckte, weil er die Leber oder den Solarplexus traf, sondern durch seine schiere Wucht. Damit war Rubalcabas Angriffsgeist gebrochen, und Wolfgram wurde unter donnerndem Jubel zum Punktsieger erklärt.

Die „Tonga!“-Rufe der 9.300 Zuschauerinnen und Zuschauer wunderten ihn im übrigen keineswegs: „Ich habe diese Wirkung auf die Leute.“ Nicht nur im Ring, auch danach blieb er keine Antwort schuldig. Sein bester Schlag: „Jeder, der den Gegner trifft.“ Sparringspartner: „Jeder, der mit mir in den Ring steigt. Ich kämpfe gegen alles vom Fliegen- bis zum Superschwergewicht.“ Das Rezept für den Kampf? Hier mischt sich Fulalangi ein, der sich als großer Prediger vor dem Herrn entpuppt: „Wir sind sehr gläubig. Wir haben gebetet und hatten das Vertrauen.“ Und in Tonga, ergänzt Wolfgram, hätten die Menschen am Tag zuvor sogar gefastet.

Inzwischen, da ist Paea Wolfgram sicher, ist die Zeit des Feierns angebrochen. Er könne sich nicht erinnern, wann Tonga zum letztenmal ein solch großes Ereignis wie seine Medaille erlebt habe. Aber es soll noch eine Steigerung geben. „Ich bin gekommen, um Gold zu holen“, sagt er. Nicht auszudenken, was in der Heimat los ist, wenn er heute sein Halbfinale gewinnt und sich sein Vorhaben dann am Sonntag vollziehen sollte: „Dann wird mir der König halb Tonga schenken.“

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