: Mantra
■ Bevor es Hippies gab, gab es in Kalifornien Minimal Music. Terry Riley, der sie in den Sechzigern miterfunden hat, wollte "eine Erfahrung ganz anderer Art" erkunden. Damals war ein Konzert wie wenn man lange Zeit an Bord eines Flug
taz: San Francisco war in den Sechzigern das Zentrum von Flower-power, Drogen und Bewußtseinserweiterung. Ist es bloß ein Zufall, daß die Minimal Music dort entstand?
Terry Riley: Kaum. In San Francisco gab es die „Acid Test“-Konzerte mit riesigen Lightshows. Musiker, die psychedelische Drogen wie LSD nahmen, neigten dazu, ihre Improvisationen mehr und mehr auszudehnen. Das Publikum kam mit Essen und Getränken, mit Schlafsack und Luftmatratze zu den Konzerten, die oft die ganze Nacht dauerten. Ein Konzert war, wie wenn man für lange Zeit an Bord eines Flugzeugs geht.
Minimal Music war also immer schon psychedelische Musik?
Es war die Suche nach Klängen, die das Bewußtsein erweitern, eine Musik der Repetition, musikalische Mantras. Ich sehe darin eine Verbindung zur neuen Ambientmusik, wo mit ähnlichen Konzepten experimentiert wird und Drogen ebenfalls eine Rolle spielen.
Aber damals war diese Musik neu, und Sie gelten als einer der Erfinder...
Als die Minimal Music gegen Mitte der sechziger Jahre entstand, gab es die Bezeichnung noch nicht. Die Komponisten und Musiker, die in den Entstehungsprozeß involviert waren, hatten Visionen von großen Klanglandschaften, in denen sich nur wenig ereignet.
Kamen Sie ohne Vorbilder aus?
Wir waren von den großflächigen, nahezu monochromen Bildern eines Mark Rothko beeinflußt, wo nur bei genauerer Betrachtung kleine Detailunterschiede erkennbar werden, die das Auge in das Bild hineinziehen, wie es konventionelle Malerei nicht vermag. LaMonte Young war einer der ersten im musikalischen Bereich, der große statische Formen schuf: kaum Kontrast und nur geringe dynamische Schwankungen. Meine Musik entsprang aber auch dem Wunsch, ein ähnliches Gefühl zu erzeugen, wie es ältere Musikstile taten. Ich ging bis zur geistlichen Musik des Mittelalters zurück. Der gregorianische Choral war weder ein Konzertereignis noch ein Unterhaltungsmedium, sondern wurde als Demutsübung aufgefaßt, die religiös motiviert war. Auch insofern ist es kein Zufall, daß die Minimal Music in Kalifornien entstand, das ja Teil des pazifischen Raumes ist.
War der Einfluß überseeischer Kulturen so stark spürbar?
Hier herrschte schon immer eine besondere Sensibilität für den Orient. Seit langem existiert eine asiatische Community in Kalifornien, es gibt asiatische Kultur und viele Musiker aus Fernost. Die klassische Musik aus Japan, Gagaku, wurde ein wichtiger Bezugspunkt, aber auch indische Trommeln und Gamelan aus Java und Bali. Orientalische Musik basiert auf verwandten Prinzipien wie Minimal Music, weil der Fluß der Zeit erfahrbar wird. Eine Raga, die zwei oder drei Stunden dauert, vermittelt ein ähnliches Zeitgefühl.
Ein Schlüsselwerk für die Minimal Music bildete ihre Komposition „InC“, die im November 1964 uraufgeführt wurde. Erinnern Sie sich an die Reaktionen?
„InC“ machte großen Eindruck sowohl auf die Öffentlichkeit als auch auf die Kritiker. Die ersten Auftritte waren umwerfend. Die Musiker bildeten eine verschworene Gemeinschaft, zu der unter anderem Steve Reich und Pauline Oliveros gehörten, und im Publikum saßen fast nur Poeten. Jeder, der in San Francisco irgend etwas mit Kunst, Poesie oder Neuer Musik zu tun hatte, war anwesend.
Gab es Verbindungen zur kalifornischen Rockszene, etwa zu The Grateful Dead?
Es ist interessant, daß Sie Grateful Dead erwähnen, weil Steve Reich und Phil Lesh, der Baßgitarrist der Gruppe, damals eine Wohnung teilten. Phil Lesh kam zu den Proben von „InC“ und war ziemlich beeindruckt. Ich war zu dieser Zeit mit vielen Rockmusikern bekannt, die ähnliche Konzepte verfolgten. Es wurde viel diskutiert. Die Ideen lagen irgendwie in der Luft. Etwa die Vorstellung, daß Musik etwas mit Ritual zu tun hat, wenn Musiker und Publikum zusammenkommen, um gemeinsam etwas zu schaffen, das größer ist als die Summe der jeweiligen Teile.
Auch in England wurde damals in dieser Richtung experimentiert.
Stimmt. Ich kannte die englische Gruppe Soft Machine gut. Als ich mit meinen Keyboardimprovisationen anfing, kam ich im Frühjahr 1967 nach London und wohnte bei Robert Wyatt, dem Schlagzeuger der Soft Machine, im Haus seiner Mutter. Wir spielten häufig zusammen, meistens lange Improvisationen, und vieles davon tauchte später bei Soft Machine wieder auf. Es war eine aufregende Zeit, weil diese Musik noch nicht in den Klauen der Plattenkonzerne war, deren kommerzielle Interessen sie später ruiniert hat. Der Geist verflüchtigte sich schnell, als es nur noch um Geld ging.
Ursprünglich ging es ja um die Wiederentdeckung der Ekstase...
Die ekstatische Erfahrung spielt bis heute eine entscheidende Rolle. Sie ist das Ziel, das man immer wieder von neuem anstrebt. Es ist ein Zustand, bei dem man sich eins fühlt mit höheren Kräften. Solche Momente stellen sich nicht oft ein, sondern höchst selten. Manchmal klinken sich Musiker unabsichtlich in göttliche Energien ein. Dann wird die Musik einfach hochgehoben in höhere Sphären. Wenn das passiert, wird es von allen Beteiligten gefühlt. Es gibt keine technische Anleitung dafür. Es ist Transzendenz.
Die suchen heute Tausende auf Raves – induziert durch Drogen. Gibt es noch andere Wege?
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Wenn ich die Techniken der Ekstase wüßte, würde ich sie fortwährend anwenden. Aus Erfahrung weiß ich aber, daß das Geheimnis darin liegt, als Aufführender sein Ego aufzugeben. Das erfordert lebenslange Übung, wobei man immer nur ein gewisses Maß an Meisterschaft erreicht, nie Vollkommenheit.
Welche Bedeutung hatte Ihr Studium der indischen Musik für die Erfahrung von Ekstase?
Als ich den klassischen indischen Sänger Pandit Pran Nath das erste Mal hörte, wurde mir klar, daß er in der Lage ist, diese ekstatischen Höhen in der Musik zu erreichen. Er konnte abheben und ein ganzes Auditorium mitnehmen. 1970 wurde ich sein Schüler. Ich lernte Ragas auf sehr systematische und disziplinierte Art und Weise. Jeden Tag übte ich sechs bis acht Stunden und machte alles, was indische Musiker tun. Das war von großer Bedeutung für mich, weil mein Leben bis dahin nicht diese Disziplin kannte. Dazu kam, daß meine Ausbildung in der klassischen Musik des Westens nicht umfassend war, weil ich gegen vieles davon rebelliert hatte. Also mußte ich meinen eigenen Weg finden.
Was genau war anders an der östlichen Musik?
Daß die indische Musik im Prinzip völlig frei ist – wenn man die Disziplin verinnerlicht hat, die man dafür benötigt. Dann kann man frei seine Vorstellungskraft entfalten.
Neben dem Prinzip der Dauer sind Wiederholungen von Kleinstmotiven ein elementarer Bestandteil der Minimal Music.
Wiederholungen sind nichts anderes als Kreisläufe: Am Ende kommt man an den Anfang zurück. Als menschliche Wesen leben wir in einem System von Kreisen. Es gibt kurze Zyklen wie Tag und Nacht und längere wie den Jahreskreis. Blutkreislauf und Herzschlag sind ebenfalls Rhythmen in uns. Ob Repetition in Folk- oder Gospelmusik, in Mantras oder bei tanzenden Derwischen – es sind immer kreisförmige Prozesse, die zur Ekstase führen. Im Gegensatz dazu kennen Musikstile, die vom Gehirn kontrolliert werden, keine kreisförmigen Systeme. Das Gehirn tendiert dazu, Welten zu schaffen, die voller Dramen sind. Derartige Musik ist narrativ wie eine Theateraufführung und nicht ekstatisch.
Haben Sie deshalb lange Zeit auf die Notation Ihrer Kompositionen verzichtet?
Es besteht ein fundamentaler Unterschied zwischen Kompositionen und der Musik des Augenblicks. Beim Komponieren hat man Zeit zum Nachdenken und kann seine geistigen Kapazitäten nutzen, um etwas zu schaffen, das sehr interessant sein kann. Wenn man dagegen aus dem Augenblick heraus Musik improvisiert, entstehen die Ideen nur wenige Augenblicke, bevor sie erklingen. Es ist eine Erfahrung ganz anderer Art, die ich erkunden wollte.
In den Sechzigern experimentierten Sie ausgiebig mit den Möglichkeiten der Musiktechnologie. Wie stehen Sie heute dazu?
Je stärker sich die Technologie in der Musik ausbreitete, desto mehr nahm mein Interesse ab. Ich war fasziniert von den Frühformen, etwa dem Einsatz von Tonbändern auf ganz primitive Weise. Ich benutzte Bandschleifen und improvisierte dazu auf der elektronischen Orgel, wodurch sich viele neue Ansatzpunkte ergaben. Aber je mächtiger die Technologie wurde, desto enger wurde der Blickwinkel. Heute blockiert Musiktechnologie Kreativität, weil sie bestimmte Formen und Verfahren vorgibt, in die das Bewußtsein eingeschlossen wird. Moderne Musikcomputerprogramme oder Keyboards sind auf Rockmusik ausgerichtet und arbeiten mit dem Songformat des Pop. Deswegen gibt es inzwischen viele junge Musiker, die davon Abstand nehmen und andere Klänge produzieren. Natürlich arbeite auch ich im Studio, aber nur um meine eigene Musik besser hörbar zu machen. Ich ziehe einen akustischen Klang, der schön aufgenommen ist, jedem elektronischen Sound vor. Vielleicht ist das Beste an elektronischer Musik, daß man durch sie akustische Musik neu hört.
Haben Sie Kontakte zur neueren Ambientszene?
Oft besuchen mich junge Musiker zu Hause und bringen mir ihre Schallplatten mit. Ich mag vieles davon. Irgendwie betrachten sie mich als einen ihrer musikalischen Vorväter. In Kalifornien werden neuerdings Ravenächte wieder bei Vollmond abgehalten, was ein Freund von mir, David Allen, schon 1962 praktizierte. Ich lebte damals in Paris. Er spielte später mit Soft Machine und gründete dann die Gruppe Gong. Ich meine, daß er neben LaMonte Young ebenfalls einer der Erfinder dieser neuen Art von Musik ist, nur kennt ihn heute niemand mehr.
Das Gespräch führte
Christoph Wagner
Neue Platten von Terry Riley:
„In C. 25th Anniversary Concert“. New Albion Records. NA 071 CD
„No Man's Land. Conversation with the Sirocco“. Plainisphare Records PL 1267-93
„The Lisbon Concert (Solo Piano)“. New Albion Records NA 087 CD
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