: Kommunikazion
Einer von meine uralten Stammkunden ist ja Studienrat Arnold. Meistens hängt er schon an' Vormittag an mein' Kiosk rum, weil er mal wieder wegen seine psüchische Beschwerden in Therapie ist. Und leidet er an ein' Börndaut Sündrom. Das muß was ganz Vornehmes sein, sozusagen der Märzer unter de Krankheiten, und werden bloß Lehrer von' Studienrat an aufwärts von befalln. Jedenfalls Herr Arnold: „Ihr Kiosk ist ein sozialer Brennpunkt.“ Naja, bei „Brennpunkt“ denkt man ja meistens an ganz fiese Sachen, so mit Unterkünfte abfackeln und sonne Scherze. Hat er aber gar nicht gemeint. Ein sozialn Brennpunkt ist nämlich, wo sich die unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten treffen und sogar mittenander reden, sonne Art „klassenlose Gesellschaft“, meint Herr Arnold. Und ich bin der Kommunikazionsmittelpunkt, sonne Art Moderator, wie bei 'ner Talkshow. Wo er noch so an Erklärn ist, kommt Frau Hütlein, die mit Vornam' Nele heißt und Gedichte macht, und nennt sich deshalb Lürikerin. Frau Hütlein verlangt die „Esotera“. Ach ja, hab ich ganz vergessen: Herr Arnold hat sich „Die Horen“ geben lassen, was nix Unanständiges bedeutet, sondern in' Gegenteil hochwissenschaftlich ist, und soll sich da irgendwie um Literatur drehen. Klar, daß sich dafür kaum Kunden finden, aber erscheint ja auch bloß einmal in' Jahr, wenn überhaupt. Frau Hütlein jedenfalls läßt ihre Augen raushäng', als sie de „Horen“ sieht, und sagt: „Ach, Sie interessieren sich für Literatur?“ „Ja“, nickt Herr Arnold. „In den ,Horen' habe ich auch schon einige Male veröffentlicht“, sagt Frau Hütlein, „aus meinem Gedichtzyklus ,NEBELBÄNKE'.“ „Ach“, sagt Herr Arnold da auch und stellt sich vor: „Arnold, Studienrat, Unterrichtsfächer Deutsch und Geschichte. Außerdem, muß ich gestehen, habe ich auch schon einige Texte veröffentlicht, aber mehr so Essayistisches.“ Nu fängt Frau Hütlein an, mitte Augen zu klappern und will noch'n bischen näher an Herr Arnold ranrücken, aber in den Moment kommt der Jungunternehmer Aschler angesprintet, schiebt Frau Hütlein ellenbogenmäßig anne Seite und trompetet: „,Capital' bitte!“ Und zu Frau Hütlein sagt er: „Sie sind Schriftstellerin? Da wüßte ich ein Thema für Sie.“ „Ja?“ fragt Frau Hütlein und zieht sich tatsächlich Notizblock und Kugelschreiber aus ihrn Umhängebeutel. „Über den deutschen Unternehmer“, sagt Herr Aschler, „das wär doch mal ein Thema! Die schwere Verantwortung, die er trägt, und daß er am meisten leidet, wenn er gezwungen ist, seine Firma mal wieder zu verschlanken...“ Und denn geht er auf Herr Arnold los: „Da brauchen Sie gar nicht so ironisch zu grinsen! Über den ,armen ausgebeuteten Arbeiter' verbreitet sich nämlich jeder Schreiberling. Dabei: Was tut der Arbeiter wirklich? In seiner sozialen Hängematte rekelt der sich! Oder“, dreht er sich nach Frau Hütlein hin, „arbeiten Sie vielleicht was Reelles? Ich möchte wetten, daß Sie von der Sozialhilfe leben!“
Naja, nu bin ich denn dazwischen: daß jetzt meine Mittagspause anfängt und ich den Kiosk leider dichtmachen muß. Sozialn Brennpunkt, schön und gut, aber wenn de Kunden auffenander lospöbeln, auf sonne Kommunikazion kann ich gut verzichten! Und wenn sowas Kommunikazion is, denn ist das, was zwischen de Punks und de Bullerei bei de Chaos-Tage in Hannover abgeht, ja auch Kommunikazion in ein' sozialn Brennpunkt!
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