: „Große Ohren, kleiner Mund“
taz-Serie Rebellen & Querköpfe, Folge 4: Peter Hüttemann, der eigensinnige Seelsorger ■ Von Miguel-Pascal Schaar
Übers Wasser gehen wollte er nie, aber zur See wäre er schon gern gefahren. Auch Mediziner zu werden, hatte ihn mal gereizt, doch folgte er einer anderen Berufung: Peter Hüttemann wurde Pastor. In Altona-Nord steht seine Kirche, in der Paulus-Gemeinde. Doch oft ist der Kreis der Menschen, die seinen Rat suchen oder seine Hilfe brauchen, weitaus größer: Von Abschiebung bedrohte Flüchtlinge, Menschen, die auf der Straße leben und hungern oder andere, die unter Einsamkeit leiden.
Zwei Männer stehen den über 3500 Gemeindegliedern als Seelsorger zur Seite. Neben Hüttemann, der seit 1991 in Altona wirkt, stellt sich seit fünfzehn Jahren Wolfram Stauffer den Aufgaben, die in der Pauluskirche anfallen. Dazu gehört die „Pauluspost“, ein Gemeindebrief, der Konflikte und Diskussionen provoziert und in der kirchlichen Pressewelt seinesgleichen sucht. Die Gemeinde und besonders ihre Hirten gelten ob ihrer ungewöhnlichen Denkweisen in der kirchlichen Landschaft Nordelbiens als streitbar. „Wir sind aber keine Querulanten“, versichert Hüttemann, „denn die nörgeln nur!“ Es gehe um eine „Verlebendigung“ und die Entdeckung einer „aufzudeckenden Spiritualität“.
Bundesweit machten die beiden Gemeindepfarrer im Herbst 1993 Schlagzeilen, weil sie eine ungewöhnliche Gottesdienst-Diskussion in Gang setzten. Die kirchliche Verpflichtung, jeden Sonn- und Feiertag in einer festgelegten liturgischen Form – „Agende I“- den Gottesdienst abzuhalten, wollten sie aussetzen. „Wenn nur noch wenige Menschen sonntags erscheinen, muß doch über Alternativen nachgedacht werden“, beschreibt Hüttemann die Motive. Sie hätten an der „Abwirtschaftung des Gottesdienstes“ gelitten, darum sollte die sonntägliche Versammlung der Gläubigen auch ausfallen dürfen zwecks besserer Konzentration auf weniger zu feiernde lutherische Messen. Der Gottesdienst, so Hüttemann, sei ja nicht „Zweck an sich“, sondern für Menschen bestimmt.
Ein Aufschrei in den bürgerlichen Medien und in der Amtskirche brach über beide herein. Was Hüttemann aber mehr bekümmerte war, „daß wir die Sache der Gemeinde nicht vermitteln konnten“. Was an Umsetzung schließlich folgte, war ein anderes Sonntagsprogramm: Sonntags wechseln sich nun Puppenspiel, Themenfeiern und traditionelle Gottesdienste ab.
Mehr positive Resonanz erhielt die Gemeinde im April dieses Jahres: Der Kirchenvorstand folgte Stauffers Vorschlag, künftig Eltern, die ihr Kind nicht mit dem Auto in den Paulus-Kindergarten bringen wollen, bei der Vergabe eines Platzes zu bevorzugen. Denn Autos seien Teil einer lebensfeindlichen Umwelt und bedrohten nicht zuletzt die Kinder, die es zu schützen gelte. Gerade die Kirche hätte hier eine besondere Aufgabe. Und dem folgend predigen die beiden Pfarrer nicht Wasser und sind – den Talar auf dem Gepäckträger festgeklemmt – auf Altonas Straßen mit dem Fahrrad unterwegs.
Peter Hüttemann und Wolfram Stauffer halten – was unter Amtsbrüdern eher selten ist – in diesen Konflikten zusammen und können sich auf den Rückhalt des Kirchenvorstandes verlassen. Bei Reformen und neuen Ideen wagt sich die Gemeinde vor. Beim Selbstverständnis des eigenen Berufes ist Hüttemann zurückhaltender. Vorurteilslos solle ein Pastor arbeiten, nicht nur die eigene Gabe erkennen, sondern sich selbst auch zurücknehmen können: „Ein Pastor muß große Ohren und einen kleinen Mund haben“, davon ist er überzeugt. Hüttemann träumt eine Vision von Kirche, die lernend statt lehrend ist: „Nicht was die Pfarrerschaft interessiert, ist wichtig, sondern wo die Menschen stehen, ist der zentrale Punkt“, sagt der Pfarrer nicht nur in Hinblick auf die Gottesdienst- und Verkehrsdiskussion.
Peter Hüttemann fühlt sich wohl in seiner Kirche und ist in ihr verwurzelt, doch Kritikpunkte benennt er deutlich: „Die Kirche ist zu provinziell“ und verschlossen, Sprachlosigkeit trotz vieler Worte sei ein Zeichen der Zeit, die es zu überwinden gelte. Besonders enttäuscht ist er vom mangelnden Widerstand der Kirche gegen die neuen Asylgesetze. „Faktisch haben wir doch kein Asyl mehr!“, konstatiert der Gottesmann. In diesen Fragen machte sich die Gemeinde schon Anfang der Achtziger einen Namen: Die Pauluskirche gehörte zu den ersten Gemeinden in Norddeutschland, die Flüchtlingen Kirchenasyl gewährten und einen hauptamtlichen Sozialarbeiter für deren Betreuung einstellte.
Wie alle in der Kirche Beschäftigten fragt sich Hüttemann, was wohl die Zukunft bringen möge. „Wir werden eine neue Sprache finden“, gibt er sich dennoch zuversichtlich. Es müßten Brücken zu den Menschen gebaut werden, um die „Tragfähigkeit des alten Glaubens“ zu vermitteln. Daß dies gelingen wird, ist für Peter Hüttemann gewiß.
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