Wand und Boden: Wie eine Skyline aus Sternschnuppen
■ Kunst in Berlin jetzt: Kent Iwemyr, Boris Michajlov, Peter Friedl, Felix González-Torres
Ein Mythos hält durch. Letzten Samstag war die Auguststraße trotz Hitze und Olympia zum Rundgang total überlaufen. An der Kunst lag es nicht, die meisten Besucher lungerten bloß herum, um die Zeit totzuschlagen, bis in den Hackeschen Höfen die Filiale von Hackbarth's eröffnete.
Bei Kent Iwemyrs Arbeiten in der Dogenhaus-Galerie dagegen ging alles sehr rasch: dreißigmal Ölbild auf einen Streich, die restliche Ware im Büro nicht mitgerechnet. Skiläufer, Gartenhaus, Menschen in der Sauna oder Oves Laster – der 1944 in Hallstahammar geborene Schwede kennt sein Genre aus dem Effeff. Das Malen ist dabei Nebensache, schließlich geht es um „authentische Momente des täglichen Lebens“. Das ist ein Ansatz, für den Iwemyr gern auf Kalender-Motive oder Bauernszenen zurückgreift, die er dick mit rosa Farbe nachpinselt. Naive Kunst schaut dich an, kullergesichtige Menschen springen irgendwie ungelenk und wurstig durch die Luft, „nah an der Natur, aber auf eine romantische Art und Weise“. Friedrich oder Füssli meint der Kunsterzieher vermutlich nicht, wenn er sich unter dem Titel „Herrliche Erde“ eine rundliche Nacktmadam nebst Elch im Hintergrund vorstellt. Aber auch mit dem kauzigen Schweden-Folk ist es so eine Sache in einer Zeit, da in Stockholm krakelige Girlie- Witze neben konstruktivistisch um Stahlgerüste rotierenden Silbertannen von Ulf Rollof ausgestellt werden. Wenn Iwemyr malt, denkt man eher an Altberliner Landschaften, die zur FBK die Messehalle mit Schrebergärten bombardieren.
Bis 31.8., Do./Fr. 14–19, Sa. 11–14 Uhr, Auguststraße 63
Neben Iwemyrs fröhlichen Elchphantasien sind die Fotomontagen in der Galerie Wohnmaschine unglaublich raffiniert. Boris Michajlov hat sie in den siebziger Jahren zusammengestellt, als er mit nachkolorierten Fundstücken aus Familienalben experimentierte. Sie passen in die Ausstellungsreihe „Körper & Betrug“, wenn auch auf Umwegen: Michajlovs Serie „Überlagerungen“ war damals vom obersten sowjetischen Kunstkritiker, Serge Morosov, verboten worden, weil mit der Doppelbelichtung zwei Blickwinkel den sonst recht eingeschränkten sozialistischen Realismus verwirrt hätten. Dabei geht es nur auf zwei Fotos um eingemummte Sowjets, die an ihren Wünschen in Form barbusiger Blondinen oder eines gewaltigen Stücks Graubrot gebückt vorüberziehen.
Die anderen Arbeiten beziehen sich auf Kunstzitate oder Psychedelia. Langhaarige nackte Mädchen pflücken Blumen, ein Akt verschwindet zwischen den Blütenblättern einer Orchidee. Für Michajlov ein Versuch, gegen die Geschichte zu arbeiten, „die Einführung des ,idiotischen‘ Subjektiven in eine objektive Umgebung mit dem Ziel, diese bloßzustellen“. Doch auch Paul Wunderlich hätte diese sanft verschwimmenden Körperstudien gemocht. Andererseits weiß Michajlov: „Was früher einmal schön war, verwandelt sich heute in Kitsch.“
Und so muß man die überdrehten Moskauer Hippiejahre nun mühsam aus den Bildern herauspuzzeln, während sich damals alles Leben ineinanderschieben, mischen und aufheben sollte.
Bis 1.9., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–17 Uhr, Tucholskystraße 36
Im Künstlerhaus Bethanien kann man bis zum 18. August seine Kleider gegen recht muffige Klamotten tauschen, die vorher bereits in Amsterdam angeboten waren. Berlin hat nun die zweite Wahl in Sachen Soziale Plastik. Das ganze ist ein Projekt des Österreichers Peter Friedl und heißt „Frack“, was eben einer Metapher für Hochkultur entsprechen kann oder dem im Gefängnisjargon gebräuchlichen Wort für „lebenslänglich“.
Die ausgestellte Wäsche indes hat wenig mit Chiffren fürs Begehrte oder Überwachen und Strafen womöglich zu tun. Das knappe Dutzend Stangen hängt vielmehr voller Polyesterhemden, Wollröcke und T-Shirts mit Motiven, die nach kunststudentischem Poverty-Pop-Design aussehen. Mitunter finden sich auch Kontext-art-Promis wie Gerwald Rockenschaub oder Dominique Gonzalez-Foerster unter den Kleiderspendern. Das kann man gleich am Eingang einem Infoblatt entnehmen. Außerdem hat Olav Westphalen zwei kinderabteilungsmäßig irre Umkleidekabinen laubgesägt und mit Gummivorhängen versehen. Für Friedl indes entsteht mit diesem Trash- Rummel eine Mischung aus Aktion, Theater und Malerei, die sich am Ende verselbständigt – „der Logik der Kunstgeschichte ist dabei nicht zu entgehen“. Andererseits hätte statt des begehbaren Konzept-Flohmarkts vielleicht eine Fotoreportage gereicht, wenn es denn um die Geschichte hinter den Bildern geht. So bleibt der Betrieb das Ziel.
Mi.–So. 14–19 Uhr, Mariannenplatz 2
Gegen eine kleine Spende kann man im NGBK ein Stück Perlenschnur mitnehmen. Es sind die abgeschnittenen Reste einer Installation, die zur Erinnerung des im Januar an Aids verstorbenen Künstlers Felix González- Torres eingerichtet wurde. Der in New York lebende Kubaner hatte „Untitled (Golden)“ 1995 konzipiert, aber nicht mehr realisieren können. Nun hängt der goldene Vorhang quer durch die schlauchförmige Galerie, glitzert wie eine Skyline aus Sternschnuppen und ist doch bloß aus bescheidenem Material. Ein bißchen kitschig, wie eine billige Wohnzimmerdekoration, die sonst in jedem türkischen Import-Export-Handel verramscht wird.
In seinen Arbeiten balanciert González-Torres mit einfachen Mitteln auf einem großen Bogen – ähnlich assoziativ wie Peter Friedl bei seinem Kleidertausch. Dabei sollen sich Betrachten und Benutzen nicht unterscheiden. Mal konnte man ausgelegte Plakate mitnehmen, bis die Ausstellung abgetragen war; mal ließ er Go- go-Boys mit dem Walkman auf einem Podest tanzen; mal wurden Bonbons in einer Galerieecke als Erinnerung an die verschwundene Kindheit aufgehäuft. Ebenso karg ist ein Video, das als Textporträt von 1991 bis 1995 mit knappen Halbsätzen eine Biographie schildert, in der zwischen Demonstrationen, Arztbesuchen, einem aufgeschnappten Lächeln und dem allmählichen Tod nur ein paar Sekunden vergehen.
Bis 1.9., Oranienstraße 25. Harald Fricke
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