Komische Erwärmung im Sommerfrost

■ Das Theater N.N. spielte einen „Sommernachtstraum“ als Fest der Musik und Heiterkeit in der Speicherstadt

Den Athener Wald in die Hamburger Speicherstadt zu bringen scheint unerläßlich, wenn sich die Verliebten Hermia und Lysander treffen, die schauspielenden Handwerker proben und die Waldelfen ihren Reigen tanzen sollen. Das Theater N.N. jedoch überwindet dieses Hindernis mit Leichtigkeit. Kein Baum und keine marmorne Säule zieren die Freilichtbühne in der Speicherstadt – ganz im Gegenteil: Eher ein Hauch von Improvisation macht sich breit. Denn würden hier nicht 14 junge Schauspieler und Schauspielerinnen tanzen und spielen, niemand würde die Paletten und Teekisten zwischen Elbwasser und roten Backsteinfassaden eines Blickes würdigen.

Genau hier setzt die Kunst dieses Theaterspiels ein. In Anlehnung an Shakespeares Zeit, wo ohne Bühnenbild, Requisite und aufwendige Spezialeffekte die Welt auf die Bühne geholt wurde, hat sich die Gruppe zum Grundsatz gemacht, Theater zu spielen „mit Reichtum an Phantasie, die gerade der absoluten Kargheit entspringen soll.“ Und dieser Ansatz geht auf. Flötenklänge, Feuer und Dunstschwaden sowie die überall herumschleichenden Elfen, die eine zusätzliche, jedoch keineswegs aufdringliche Nähe zum Publikum entstehen lassen, schaffen für den Besucher sofort eine einnehmende Atmosphäre.

Die Handlung selbst ist jedoch lange nicht so weit vom Original entfernt wie der Spielort der Szenenbeschreibung des Stückes. Regisseur Dieter Seidel bleibt der Fried-Übersetzung meistens treu, was nicht bedeutet, daß er es an kleinen zeit- und ortsgemäßen Abänderungen mangeln läßt.

Für die jungen Darsteller erscheint diese Komödie wie geschaffen, denn Seidel schafft reichlich Platz für Tanz, Musik und kleinere Experimente. Attischer Hofstaat und Elfenwelt entfalten sich mal zu orchestraler Klassik, mal zu transzendentem Jazz und dann zu selbst erzeugten Rhythmen, die ebenso rappig wie folkloristisch sein können. Die Inszenierung ist gespickt mit Szenen der Mystik, Erotik und Vulgarität. Jedoch ist das vordringliche Merkmal dieser Arbeit die permanente, doch keineswegs penetrante Komik. So muß etwa Puck – durchaus abweichend vom Original – nach übermäßigem Genuß der Zauberblume seinen Magen auf der Bühne entleeren, und es scheint in der darauf folgenden Szene nicht vermeidbar, daß jeder Akteur in die unfreundlich anmutende Lache tritt, rutscht oder fällt.

Die jungen Schauspieler beweisen in ihren Rollen überzeugenden Spielwitz, der der komischen Darstellung ihrer Charaktere sehr zugute kommt. So ist es wohl auch zu erklären, daß gegen Ende der dreistündigen Vorstellung selbst Mystik und Dramatik das Zwerchfell belasteten, denn von der einmal aufgesetzten Physiognomie eines eselhaften Zettels ist bei derart fliegendem Rollentausch scheinbar kaum noch Abstand zu nehmen. Und dies ist das große Glück der Zuschauer, denn bei sommerlicher Eiseskälte und um zwei Uhr nachts hätte sonst sicher manch einer diesen Sommernachtstraum nicht zu Ende geträumt. Oliver Helf