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In der Zirkuskuppel

■ "Dieses Tonband zerstört sich in fünf Sekunden selbst", sagt eine Stimme, dann qualmt es, und ab geht er, der Tom (Cruise) in dePalmas "Mission: Impossible"

Das Restaurant trägt den Namen „Akvarium“. Es befindet sich in Prag, der Goldenen Stadt, und in seiner Mitte steht ein Langustenbecken. Darüber schweben drei große Fischbecken. Ethan Hunt (Tom Cruise) speist mit Kittridge, seinem CIA-Kontaktmann, und beider Appetit ist mäßig: Kittridge hat Hunt gerade einen Verräter genannt. Wütend wirft Ethan Hunt einen Kaugummi hinter sich, natürlich ohne Zucker, dafür mit reichlich TNT versetzt. Als erstes explodiert das Langustenbecken, dann rasen sechzehn Tonnen Wasser durch das Restaurant. Tom Cruise hätte ertrinken können. Was schade gewesen wäre – nicht nur um seine Oberarme.

Brian De Palmas „Mission: Impossible“ ist die technisch modernisierte und politisch aktualisierte Kinoversion der gleichnamigen amerikanischen Fernsehserie (1966–73), die in Deutschland unter dem Titel „Kobra, übernehmen Sie“ lief und läuft. Der letztjährige Oscar-Preisträger Martin Landau spielte eine der Hauptrollen. 1988/89 erlebte die Fernsehserie in den USA ein Revival. Jetzt ist der Kalte Krieg vorbei – da muß sich auch so ein armes Würstchen von Agent neu orientieren. Ethan Hunt ist der Held eines schier unmöglichen Unternehmens. Sein früheres IMF-Team sollte einen feindlichen Spion beim Klau einer Diskette mit den Tarnidentitäten aller amerikanischen Undercoveragenten in Osteuropa erwischen. Die Sache wurde von einem Maulwurf verraten. Ethan Hunt mußte mitansehen, wie alle seine Kollegen – darunter Hunts Ehefrau – auf die eine oder andere Art umgebracht wurden.

Ein nettes Prélude, um den Feind wiederauferstehen zu lassen – in den eigenen Reihen –, das IMF-Kollektiv als grundlegende Idee abzuschaffen und „Mission: Impossible“ zum Cruiseschen Solo-Star-Vehikel zu machen. Doch eine IMF-Agentin überlebt. Plötzlich klopft es an Hunts Hotelzimmer, und Claire (Emanuelle Béart) spaziert herein. Wer überlebt, macht sich verdächtig. Ethan Hunt muß in den Hochsicherheitsdatentrakt des CIA einbrechen, um für einen Waffenhändler die Ident- Codes zu stehlen. Im Gegenzug soll er den Namen des Maulwurfs erfahren.

Einsamer Rächer

Während die in wächsernen Posen erstarrte Emanuelle Béart wie ein Witz Georges de La Tours über eine Agentin aussieht, ist Tom Cruise als einsamer Rächer aller Gefoppten ein wirklicher Gewinn für den Actionfilm. Tom Cruise schwitzt nicht so unappetitlich wie Bruce Willis, der zudem immer diese proletarischen Unterhemden trägt. Er ist nicht so dumm wie Sylvester Stallone, jünger als Sean Connery und spricht besser englisch als Arnold Schwarzenegger. Der 34jährige dominiert durch unruhig zurückgehaltene Energie, obwohl er in Vanessa Redgrave (Max) und Jon Voights scheintotem Agentenboß Phelps passable Konkurrenten hat.

Es wurde einmal geschrieben, daß Cruise die juvenile Inkarnation der Reagan-Ära sei, und ein bißchen stimmt das noch immer: Tugend, dich will ich preisen! Nun beruhen Agenten- und Actionfilme auf einem gewissen Mindestmaß an Typisierungen, doch Hunt ist wirklich die Krone: ein Ritter ohne Furcht und Tadel, der seine Ehre verteidigen muß, ein Gutmensch mit Killerlächeln, gebildet genug, um die Quelle eines christlichen Zitats zweifelsfrei zu identifizieren, aber auch hinreichend naiv, um eine Internet-Suche zum Wörtchen „Job“ mit null Fundstellen abzuschließen. Diese umwerfenden Vorzüge und die Tatsache, daß Tom Cruise erstmalig als Coproduzent fungiert und seinen Einfluß auf das Filmbusineß damit erheblich erweitert, fordern das Cruise- Bashing geradezu heraus. Unter den fünfzigtausend Internet- Surfern, die innerhalb der letzten zweieinhalb Monate die Tom- Cruise-Homepage beehrten, tummeln sich auch ein paar Neider. „Nur seinem blöden Grinsen verdankt Cruise, daß er es soweit gebracht hat“, behauptet ein gewisser Henry Tong, wofür er Morddrohungen aus aller Welt erntet.

Wenig subtiler geht es in der Presse zu. Bild am Sonntag rief Ende Juli dazu auf, die Jugend vor ihrem Idol Cruise, bekanntlich ein bekennender Scientologe, zu schützen. Parteien und Sektenbeauftragte riefen zum Boykott des Films auf – selten haben sie sich so lächerlich gemacht. Das heißt, die Grundidee ist gar nicht so schlecht, denn dann könnte man endlich auch die Demokratie an sich verbieten (macht arbeitslos) und die Monarchie wiedereinführen (Arbeitslose zu Hoflieferanten!). Die Elite deutscher Besserwisser-Kritiker mokierte sich darüber, daß Tom Cruise angeblich „wie ein Anfänger“ spiele. Das kann man nun wirklich nicht behaupten, oder hat schon mal jemand von einem Anfänger gehört, der 20 Millionen Dollar pro Film macht?

„Mission: Impossible“ ist etwas für kindliche Gemüter mit Sinn für Ästhetik. Ein paar dieser hübschen Spiogentenspielzeuge hätte man gern selbst, wie den Kugelschreiber, mit denen man unbeliebten Kollegen durchfallerzeugende Brechmittel in den Kaffee spritzt. TNT-gefüllte Kaugummi, sprühende Brillen, die jeden Angesprühten mit einem Infrarot-Heiligenschein markieren, Laptops mit bibelartig layouteter Software. Verglichen damit ist „James Bond“ ein kleiner Scheiß.

Elegante Bilder

Die Village Voice warf Brian De Palmas Kassenknüller nun vor, eine vollkommen unpersönliche Angelegenheit zu sein. Dem muß ebenso widersprochen werden wie der Boshaftigkeit, mit der dem alten Trickster Brian De Palma „ein vorgezogener Ruhestand“ bescheinigt wurde. Village Voice verglich „Mission: Impossible“ mit zwei alten Rennern von Don Siegel, und auch das Time Magazine jammerte, daß es heutzutage keine Thriller mehr gebe. Nun ist es immer ein wenig simpel, bei jedem halbwegs (post-)modernen Versuch, den guten alten Klassikern wie einer Art „Vorkriegsware“ hinterherzuweinen. „Mission: Impossible“ ist ein für heutige Verhältnisse langsamer und trotzdem spannender Actionfilm, der – typisch De Palma – auf visuelles Erzählen setzt, auf elegante Bilder, schwarzen Humor und elegische Stimmungen. In seiner Bildlichkeit behält „Mission: Impossible“ auf seine Art auch recht. Immer wieder Spinnennetze – als Acryldecke in der CIA-Datenzentrale, als Computergrafik oder aus springendem Fensterglas, dann Spiegelfußböden, auf die tief fällt, wer hoch steigt. Selbst die Stadtkulissen sind signifikant: Prag ist so düster, daß es aus der Zeit des Golems stammen könnte, ein verregnetes London, das trotz aller Melancholie mehr von den Swinging Sixties als den Sad-Mad Nineties hat. Die OP-sterile, futuristische CIA-Computerzentale ist es auch, die zum Ort des amüsantesten „Mission“-Stunts wird: Ethan Hunt muß, wegen all der Bewegungs- und Temperatursensoren wie Spiderman von der Decke hängend, die geheimen Tarncodes auf Diskette kopieren, als sich ein zierlicher Schweißtropfen von seiner Stirn (Streß macht Pickel!) löst und den Alarm auszulösen droht – von wegen unendliche Leichtigkeit des Seins!

„Mission: Impossible“ erweist sich nach zweieinhalb Monaten Laufzeit und 180 Millionen eingespielten Dollar als der Überraschungsknüller dieses US-Kinosommers, und wer die anderen „Knüller“ gesehen hat, ist damit auch zufrieden. So ein Blockbuster hat ja immer etwas von Zirkus: Artistik, Eleganz, eine Spur Komik und ein oder zwei begnadete Körper. Der perfekte Film ist „Mission: Impossible“ dennoch nicht. Die E-Mail-Adresse „Max„a“.Job 3:14“ ist illegal. Der Zug, der mit Tom Cruise auf dem Dach und dreihundert Stundenkilometern durch den Euro-Tunnel rast und dabei einen Hubschrauber vor sich herjagt, ist ein EuroStar und nicht etwa – wie dran steht – ein TGV, und einmal rückt eine Uhr von 10.01 auf 9.57 vor, was auch mit dem hübschesten Agentenspielzeug nur schwer zu bewerkstelligen ist. Doch wen stört das schon? Eines ist auf jeden Fall perfekt: die „Mission: Impossible“-Synkopen von Lalo Schifrin. Sie sind „wie geschaffen dafür, sich in die DNA einzuschreiben“: Bumbum-bum / bum-bumbum. Anke Westphal

„Mission: Impossible“. Regie: Brian De Palma, mit Tom Cruise, Jon Voight, Vanessa Redgrave, Emanuelle Béart, Jean Reno u.a., USA 1996, Farbe, 118 Min.

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