"Bin ich nervös!"

■ Ein Rückblick auf zwei Wochen Olympiade im Fernsehen

Als es anfangs verhexterweise nicht klappen wollte mit dem ersten „Gold für Deutschland“, kam der kluge Vorschlag eines WDR- Hörers: Man möge die Spiele umgehend annullieren und komplett neu starten – und zwar nur mit deutschen Teilnehmern. Nichts als deutsche AthletInnen in Atlanta – es wäre dies der televisionäre Idealfall gewesen.

Immer wurde „aus deutscher Sicht“ berichtet, kommentiert, euphorisiert. Disziplinen ohne Unsrige galten höchstens Randnotizen. Wie mit dem Mikroskop wurden die Spiele auf der Suche nach Deutschtum durchleuchtet: Ein frisch germanisierter Boxer war dann „ein Berliner Türke mit deutschem Paß“. Deutsche Vorfahren wurden extra herausgestellt – als sei dies ein Qualitätskriterium. Von Hans Reinhard Scheu (ARD) erfuhren wir sogar, daß die olympischen Tischtennisplatten alle aus Deutschland sind. Toll!

Und wehe, ein Hiesiger gewann auch noch: Live-Bericht („ja, jaa“), Wiederholungen ohne Unterlaß („da, daa“), Spontaninterviews („Hätten Sie je gedacht...“), Studiobesuche („Wie fühlen Sie sich jetzt...“) und dann alles noch mal kitschig nachgefeatured mit Slow-mo und Kommentaren des Grauens: „Was Lars Riedel erlebte, war eine Berg-und-Tal-Bahn der Gefühle.“ Bekenntnisse, wie sehr man mitzittere, mitfiebere, mitjuble, mitleide: „Ach, was bin ich nervös!“ Man weiß nicht, ob das wirklich kindliche Aufgeregtheit war oder plumpes Anbiedern an den Fernsehstammtisch? Peinlich war es so oder so.

Nichtdeutsche Athleten dienten oft nur als Staffage oder waren böse Spielverderber. Als die US- Kickerinnen sogar das Fußballturnier gewannen, hieß es: „Für uns Europäer kommt das einem Kulturschock gleich.“ Gleichzeitig aber wurden die Fans und Medien aus „Amerika“ (gemeint dessen kleiner Teil USA) gebetsmühlenhaft kritisiert: Ahnungslose hysterische Hot-dog-Deppen halt, die nur des Spektakels um ihre Stars in Stripes willen gekommen sind. Und immer dieses unfaire Juu-Ess- Ääii-Gebrülle! Aber, halt, wir müssen schnell wieder umschalten zu unseren Boxsegelfechtkanuten, denn da winkt neues Umhängemetall. Jawoll: „Gold für Deutschland!“ Und augenblicklich metamorphisierte Olympia wieder zum hehren Sportfest der Weltjugend.

War ein anderer schneller, besser, stärker, blieb immer noch der Doping-Verdacht: Manipulationsverdächtigungen bei argentinischen Reitern, bei russischen Gewichthebern sowieso. Und diese Chinesen, da wisse man ja nie. Beleidigte, weil besiegte Deutsche durften endlos und ohne Halt spekulieren, was „im Osten“ so Sache sei. Und immer wieder wurde uns weisgemacht, wie desorganisiert die Kommerziade doch war, wie chauvinistisch, hollywoodhaft, megagesichert und orwellös überwacht. Blanker Anti-USAismus. Dann die Bombe, die ausgiebige Betroffenheitsrituale explodieren ließ. Doch da schwang auch die klammheimliche Genugtuung mit, daß es den Amis eben nicht besser erging als uns Deutschen in Münchener 1972.

Zum Schluß das Positive. Die durchglotzten Nächte sind vorbei. Und: Schöne Momente gab es auch. Die ARD hatte ihr Highlight wie immer in Heribert Faßbender. Wunderbar, wie das Sportbärtchen von US-Basketballstar Carl Malone wissen wollte, was wohl die dümmste Frage sei, die einer wie Malone sich vorstellen könne. Ach, lächelte da der Dreamteamer, er, Harry Bird, mache seinen Job schon ganz gut. Good evening altogether. Bernd Müllender