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Qualität von Spuren

■ Neu erschienen: Ein Reader zum Phänomen der Patina

Manchmal sind ganze Autorengruppen von bestimmten Formulierungen infiziert. Im Fall des vorliegenden Bandes über das Phänomen der Patina ist es der Satz: „In Würde altern.“ Beinahe allen Autoren dieses beim Hamburger Junius Verlag erschienenen Readers dienen diese drei magischen Worte als Wegweiser zur moralischen Beurteilung von gereiften Kulturerzeugnissen. Doch was diese Würde nun tatsächlich ausmacht, darin unterscheiden sich die Beiträge je nach Autor und Sujet doch gehörig.

Denn um die Veredelung eines Materials durch Alterung und Umwelteinflüsse vom Verfall zu scheiden, zählen beim zweiten Hinsehen doch eher sehr subjektive Argumentationen. So dürfte die Behauptung eines Autors, „Beton entwickelt bekanntlich mit der Zeit eine poetische Melancholie“, den meisten Menschen, die unter den verschmutzten Betonarkaden von Fußgängerzonen aus den 70er Jahren wandeln müssen, nur schwer begreiflich zu machen sein.

Doch die Vielzahl der Autoren und Themen respektiert das Bedürfnis nach einer Materialsammlung, die in teilweise extremen Positionen die eigene Wahrnehmung schulen hilft. Rem Koolhaas' schlecht gearbeitete Bauten werden mit kritischem Respekt behandelt, Peter Zumthors Verwendung von Holz am Bau mit großer Ehrfurcht beschrieben und Jaques Blumer vom Atelier 5 darf unverständlicherweise Werbung für die heftig kritisierten Betonsiedlungen seines Büros machen. Alterungsspuren in der Stadtentwicklung oder bei Kunstwerken, Patinaschwindel in Design und Mode oder die Verwilderung von Parks sind weitere Themen eines Buches, daß eine der heftigsten Kontroversen der Kulturgeschichte umkreist: Wie definiert man das Verhältnis von Schutzwürdigkeit und Erneuerung?

Nicht zuletzt die Debatte um die Restaurierung der Sixtinischen Kapelle, die Michelangelo im Licht greller Farbigkeit neu zu sehen zwang, hat diese Debatte zurück ins Bewußtsein gebracht. Was ist au-thentisch? Die Rekonstruktion eines vermeintlichen Ausgangszustandes oder die Veränderung durch Jahre des Gebrauchs. Soll Notre Dame de Paris wieder weiß sein oder ein alter Stadtgrundriß bei einer Neuplanung rekonstruiert werden? Beide Fragen würde die Mehrheit der Menschen wohl mit „Nein“ beantworten – aus Gewohnheit. Dieses schwierige Thema zu diskutieren, dazu liefert Patina reichlich Stoff.

Till Briegleb

Patina, hrsg.v. Rolf Troyka, Junius Verlag, 136 S., 78 Mark

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